Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Ausgelassen wirbelten die Paare in der Mitte zwischen den funkenspeienden Feuern umher.
Noch bevor ich seine Stimme hörte, verkrampfte sich mein Magen. Sein unverwechselbarer Duft hatte mich gewarnt.
»Möchtest du auch tanzen?«
»Nein, danke.« Es sollte sich gechillt anhören, stattdessen klang es schrill.
Christopher seufzte leise hinter mir. »Ich muss mit dir sprechen, Lynn.«
»Ich wüsste nicht, worüber«, antwortete ich – cool und schnippisch, wie beabsichtigt.
»Bitte, Lynn.« Christopher wurde eindringlich.
Ich erwiderte nichts. Vermutlich wurde ich ihn so am schnellsten los. Zumindest würde ich mich nicht in Rage reden.
»Danke.« Er nahm mein Schweigen als Zeichen meiner Zustimmung und setzte sich mit einer geschmeidigen Bewegung neben mich.
Mein Herzschlag verdoppelte sich. Vielleicht passte sein Duft doch zu ihm. Auf mich wirkte seine Nähe jedenfalls genauso aufreizend wie ein Gewittersturm kurz vor dem ersten Donnerschlag. Doch wo sollte das hinführen? Gerauft hatte ich das letzte Mal mit zwölf, und auf ein Wortgefecht wollte ich es im Augenblick nicht ankommen lassen. Dazu war mir der Zwischenfall gestern im Wald noch viel zu gut in Erinnerung. Und auf eine Entschuldigung, weil ich mich ihm an den Hals geworfen hatte, konnte Christopher lange hoffen. Also entschied ich, abzuwarten und ruhig zu bleiben. Ich war mir allerdings sicher, dass ihm meine Anspannung nicht entging.
»Lynn, ich wollte mich bei dir entschuldigen.«
Überrascht schnellte mein Kopf in die Höhe und blieb an seinem atemberaubenden Profil hängen, das sich vor dem lodernden Hintergrund der Lagerfeuer deutlich abzeichnete. Er entschuldigte sich bei mir ?
»Ich wüsste nicht, wofür.«
Christopher ignorierte meinen Einwand. Ohne seinen Blick vom Feuer abzuwenden, wählte er seine Worte mit großer Sorgfalt.
»Ich hätte dir nicht so nahe kommen dürfen, das war falsch von mir. Du bist neu hier im Schloss und dadurch sehr verletzbar. Ich bereue, was ich getan habe, und bitte dich um Verzeihung.«
Ein dicker Kloß verstopfte meine Kehle. Mit Sicherheit würde ich in diesem Moment keinen Ton herausbringen – selbst das Atmen fiel mir schwer. Also schwieg ich und starrte, wie er, ins Feuer.
Er bereute es! Bereute, mich berührt, mich in die Arme genommen zu haben! Das schmerzte. Denn auch wenn ich die Wahrheit verdrängen wollte, ich hatte seine Umarmung genossen. Und würde sie wieder genießen – dämlich, wie ich war!
Ich biss die Zähne aufeinander. Ich musste mich zusammenreißen, wenn ich mit einem gewissen Maß an Anstand und Selbstachtung aus dieser Situation herauskommen wollte. Mühsam schluckte ich den Kloß hinunter.
»Es gibt nichts, weswegen du dich entschuldigen müsstest. Wenn, dann muss ich dich um Entschuldigung bitten.« Meine Stimme klang unecht in meinen Ohren, obwohl ich noch nicht gelogen hatte. »Ich hoffe, du siehst mir meine ... Reaktion nach. Es ... es tut mir leid, wenn du dadurch einen falschen Eindruck von mir hast. Das lag nicht in meiner Absicht. Aber wahrscheinlich hätte ich mich in diesem Augenblick an jedes lebendige Wesen geklammert.«
Ich blickte ihn bei meiner kleinen Ansprache unentwegt an – um keine Zweifel an meiner Aufrichtigkeit aufkommen zu lassen. Deshalb bemerkte ich auch das Flackern in seinen Augen, bevor er sich von mir abwandte.
»Gut, ich bin froh, dass wir das geklärt haben.« Anmutig, wie eine Gestalt aus dem Olymp, erhob er sich. »Wir sehen uns.«
Ich riss mich so lange zusammen, bis Christopher in der Menge verschwunden war. Erst dann gestattete ich meinem Körper zu reagieren. Ich zitterte. Überall. Völlig irrational! Er hatte mich nur einmal in seinen Armen gehalten – was ihm ganz offensichtlich leidtat –, und mir fiel nichts Besseres ein, als mich in ihn zu verlieben. Und verliebt war ich. Nicht wütend – jedenfalls nicht auf ihn. Das war mir inzwischen klar. Nichts, nicht einmal Philippes Zurückweisung, war damit vergleichbar, wie ich mich jetzt fühlte. Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich wollte nicht weinen. Ich wollte weg, allein sein.
Wie in Trance kletterte ich von dem Baumstamm und kehrte meinen ausgelassen feiernden Mitschülern den Rücken. Dann lief ich los, hinein in den dunklen Wald, wo niemand mich sehen konnte.
Kapitel 5
Engel aus Stein
E s war schwierig, sich im Dickicht der Bäume zurechtzufinden. Der schmale Pfad forderte meine ganze Aufmerksamkeit, was mir half, meinen Kummer zu verdrängen. Der Weg führte
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