Schloss der Engel: Roman (German Edition)
dem Plastikskelett und ein paar ausgestopften Vögeln erschrecken zu können.
Wir betraten als Letzte den kleinen Hörsaal und stiegen die Holzstufen hinauf zu den beiden freien Plätzen in der oberen Reihe. Frau Kast, die Biologielehrerin – ich schätzte sie auf Ende zwanzig –, löschte das Licht und begann mit einer Smartboard-Präsentation. Katzen waren das heutige Thema. Nach ein paar Minuten schaltete ich ab und beobachtete die Spatzen vor dem Fenster – die Anatomie der kleinen Raubtiere kannte ichbereits. Allerdings hatten mir bei der Abfrage von Frau Germann ein paar Fachbegriffe gefehlt, was wahrscheinlich der Grund war, warum sie mich in diesen Kurs gesteckt hatte.
Als ich den Biologiesaal verließ, kam Aron auf mich zu. Er hatte mich abgepasst.
»Hast du Sportsachen dabei?« Kritisch musterte er meine Jeans.
»Warum? Sollte ich? Da hab ich anscheinend mal wieder was verpasst! Wie blöd, dass ich noch keinen Kursplan habe.«
»Deshalb bin ich hier. Ich warte vor dem Schloss, bis du dich umgezogen hast – damit du dich nicht verläufst.«
»Tausend Dank! Ohne deine Hilfe wäre ich aufgeschmissen«, antwortete ich ebenso sarkastisch.
»Immer wieder gern.«
Aron lachte und zückte einen himmelblauen Zettel, den er mir überreichte. Unter Tierkunde stand Lanze – was auch immer das bedeuten mochte. Wahrscheinlich war Lanze ein Kürzel für eine Kampfsportart wie Taekwondo oder so was wie Speerwerfen. Ich fragte nicht nach. Spannender als Bio war es bestimmt.
Aron wartete tatsächlich vor dem Schloss auf mich. Seine Gegenwart verunsicherte mich. Er schien eher mein Bodyguard als mein Tutor zu sein. Hatte ich etwas ausgefressen, wovon ich nichts wusste? Oder hatte er mitbekommen, dass ich ein neues Handy brauchte und deshalb die Schule verlassen wollte? Aber vielleicht war er gegenüber seinen neuen Schülern auch nur hilfsbereit – so, wie Susan ihn beschrieben hatte.
In dem Moment, in dem ich die Sporthalle betrat, vollführte mein Herz eine irrwitzige Bewegung: einen euphorischen Salto, da ich Christopher entdeckte, gefolgt von einem tiefen Absturz Richtung Magengrube, als ich in seine Augen blickte, die mich vorwurfsvoll musterten. Ich wollte schnell zu Aron aufschließen, bevor Christopher mich auf meinen nächtlichenWaldspaziergang ansprechen konnte, doch er versperrte mir den Weg.
»Du bist meiner Gruppe zugeteilt«, war alles, was er sagte.
Ich zuckte gelassen die Schultern. »Wenn’s sein muss.«
Christopher ging nicht auf mein Grummeln ein. Als wäre es das Normalste auf der Welt, eine bockige Schülerin zum Sport zu bewegen, brachte er mich zu Markus, dem blassen, zurückhaltenden Jungen, der gestern mit mir bei der Schulversammlung vorgestellt wurde, Erika, die seit Freitag hier war, und Susan, die mich – warum auch immer – böse anfunkelte.
Christopher demonstrierte uns die Grundlagen des Trainings, und ich folgte tatsächlich gebannt seinen Erläuterungen. Obwohl ich versuchte, mich dagegen zur Wehr zu setzen – seiner Anziehungskraft konnte ich nicht widerstehen. Ich wusste, ich sollte wegschauen, anstatt jede seiner Bewegungen zu verfolgen; die Augen verschließen, anstatt das Spiel seiner Muskulatur unter dem hellen T-Shirt zu studieren.
Christophers Darbietung zeugte von jahrelanger Übung. Er bewegte sich schnell und anmutig, fast als würde er schweben. Mit unglaublicher Geschwindigkeit wirbelte er herum, dann griff er zur Lanze und vollführte dieselben Muster.
Mit offenem Mund schaute ich ihm zu, obwohl ich Kampfsportarten mit todbringenden Waffen eigentlich nicht besonders mochte. Christopher allerdings schien mit der Lanze zu tanzen. Er bildete eine Einheit mit ihr, als wären sie ein eingespieltes Paar.
Meine Fantasie ging mit mir durch: Ich übernahm die Rolle der Waffe – wiegte mich in Christophers Armen, fühlte seinen aufregenden Körper und seine Hände, die mich festhielten. Sein Duft strömte zu mir herüber. Ich hielt den Atem an und schloss die Augen. Das. War. Zu viel!
Ich spürte, wie er vor mir stehen blieb, hörte bereits, wie er mich mein Aufmerksamkeitsdefizit erklären ließ. Als ich dieAugen öffnete, sah er mich nur an – prüfend, dann unergründlich. Schließlich wandte er sich wortlos ab.
Und ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Warum hängte ich mir nicht gleich ein Schild um den Hals, auf dem stand: Bitte nimm mich noch einmal in die Arme!
Markus drückte mir einen Stab in die Hand, und ich überspielte meine
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