Schloss der Engel: Roman (German Edition)
am Ende. Ich konnte nicht mehr. Ohnehin hatte ich keine Ahnung, in welche Richtung ich weiterlaufen sollte.
Ich verbarg mich so weit wie möglich unter dem dicken Stamm, zog meine Jacke über meinen schmerzenden Kopf und presste die Beine gegen meinen Körper, um mich vor dem prasselnden Regen zu schützen. Neben meinem Verstand lähmte die Kälte inzwischen auch meine Muskeln. Ich konnte beinahe fühlen, wie sie tiefer kroch – bis ins Innerste meiner Knochen.
Ein unregelmäßiges Klappern ließ mich aus meinem Dämmerschlaf aufschrecken. Meine Zähne schlugen aufeinander. Ich zitterte am ganzen Leib. Die eisige Luft war unerträglich.
Geäst knackte in meiner Nähe, doch ich war zu müde, um nach Hilfe zu rufen.
Starke Arme hoben mich hoch und trugen mich durch den Wald. Ich glaubte Christophers Geruch wahrzunehmen. Seine Stimme wiederholte meinen Namen, verfluchte meinen Eigensinn und meine Dummheit, mich von Irrlichtern verwirren zu lassen.
Kerzen erhellten flackernd die kleine Kapelle und füllten den Raum mit einem weichen Schimmer. Tausend Gefühle rasten durch mich hindurch: Christopher hielt mich schützend in seinen Armen – ich war mir sicher, dass es ein Traum war.
Ich musste geschlafen haben – ich fühlte mich besser –, aber ich träumte wohl noch immer. Sanfte Finger strichen mir über die Haare. Ich kämpfte gegen den Drang, die Augen aufzuschlagen, und ließ mich in den Schlaf zurückfallen, damit dieser wundervolle Traum nicht verblasste ...
Sein alarmierender Duft brachte mich schließlich zurück in die Wirklichkeit: Christopher. Ich zwang meine Lider, sich zu öffnen. Da waren sie, seine funkelnden Smaragdaugen, die mein Herz schneller schlagen ließen. Auf Ärger gefasst, erwartete ich eine scharfe Zurechtweisung – immerhin hatte ich Arons Anordnungen zuwidergehandelt –, doch ich las nichts davon in Christophers Zügen. Warm und voller Zärtlichkeit sah er auf mich herab. Das konnte unmöglich wahr sein. Ich musste tot und im Himmel sein!
Damit Christophers Geruch mir nicht den letzten Rest meines Verstandes raubte, hielt ich den Atem an. Den Schmerz, ihm zu nahe gekommen zu sein, kannte ich bereits. Eine Erfahrung, die ich nicht noch einmal machen wollte.
Entgegen meinen geheimsten Wünschen unternahm ich einen vagen Versuch, mich aus seinen Armen zu winden. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Als hielt die Kälte, die bis tief in mein Innerstes vorgedrungen war, mich noch immer mitihrem eisernen Griff gefangen – oder Christopher. Etwas lag in seinem Blick, das mich verwirrte: Sehnsucht, gemischt mit Traurigkeit.
»Lynn, schließ die Augen und ruh dich aus! Die Lichter haben dich verwirrt, aber ich werde dafür sorgen, dass sie dir nichts tun. Und morgen wirst du ohnehin nicht mehr wissen, was passiert ist.«
Christophers Finger strichen sacht über meine Augenlider. Doch ich wollte sie nicht schließen, ich wollte mich erinnern, an ihn, seine Berührungen und die Wärme in seinen Augen – auch wenn ich es anschließend bereute.
Unsere Blicke kreuzten sich, verloren sich ineinander. Stunden oder vielleicht auch nur Sekunden konnten vergangen sein, während ich in seinen tiefgrünen Augen versank. Zärtlich strich er meine nassen Haare aus der Stirn und ließ seine Finger über meine Wange gleiten – vorsichtig, um diesen unwirklichen Moment nicht zu zerstören. Sein Atem streifte mein Gesicht, bevor seine betörende Wärme und sein verwirrender Geruch endgültig meinen Verstand lahmlegten.
Weiche Lippen fanden meine Lider. »Schlaf – und vergiss«, flüsterte er, während ich dem sanften Druck nachgab und meine Augen schloss. »Und vergib mir«, flehte Christopher, bevor er mich küsste. Unendlich behutsam, als fürchte er, mich zu verängstigen.
Die Stimmen, die sich der Tür näherten, hörte nur er. In mir gab es keinen Platz mehr, etwas anderes wahrzunehmen als ihn. Seine Hände, seine Wärme, seine Zärtlichkeit ließen mich tatsächlich alles vergessen, und die Welt versank im funkelnden Nebel meiner Gefühle.
Kapitel 6
Verborgene Ruinen
A ls ich erwachte, konnte ich mich nicht mehr erinnern, wie ich auf mein Zimmer gekommen war. Sicherlich enthielt der heiße Tee, den Aron mir in der Kapelle eingeflößt hatte, ein Schlafmittel – K.-o.-Tropfen vielleicht. Das Einzige, was mir im Gedächtnis geblieben war, waren die Spekulationen über mich, die Aron anheizte.
»Eigentlich dürfte sie nicht mehr so frieren.«
»Sie ist erst seit ein paar Tagen hier«,
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