Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Christophers flehendes Klopfen. Zur Mittagszeit schlich ich mich aus dem Schloss, da ich befürchtete, dass er sich nicht mehr allzu lange hinhalten ließ. Seiner Drohung, beim nächsten Mal die Tür einzutreten, glaubte ich aufs Wort.
Ich umrundete die Mauer am See und setzte mich auf das schmale Uferstück, den Rücken an die Wand gelehnt. Mit einem Seufzer schloss ich die Augen und versuchte, die wärmenden Sonnenstrahlen in mich aufzunehmen und an Italien zu denken, um das immer wieder auftauchende Bild von Christopher und Susan zu verdrängen.
»Warum fliehst du vor mir?«
Der Schmerz in meinem Inneren riss wieder auf, und mit ihm erwachte ein tiefer Zorn. »Das fragst du noch?«, fuhr ich Christopher ungewollt scharf an.
Vor Angst, noch mehr die Kontrolle zu verlieren, krallte ich meine Hände in das feuchte Gras, damit ich ihm nicht an dieGurgel sprang. Die Genugtuung, dass er mich mit derselben Leichtigkeit abschüttelte, wie er seine Freundinnen austauschte, wollte ich ihm nicht geben.
Christopher wich zurück, als er meine Reaktion bemerkte. Ungläubigkeit lag in seinem Blick.
»Was zur Hölle habe ich getan, das dich so verärgert hat?«
»Was du getan hast?!« Außer mir über seine Unverfrorenheit, sprang ich auf. Ich hielt die Luft an und zählte bis drei, um nicht wie eine Furie rüberzukommen – besser hätte ich bis tausend gezählt.
»Wenn du es nicht mehr weißt, dann kann vielleicht Susan dein Gedächtnis ein wenig auffrischen«, schleuderte ich ihm entgegen, bevor ich ihn stehenließ und wütend davonstapfte.
Kapitel 12
Bekenntnisse
E s dauerte nicht lange, bis Susan mich aufsuchte – sie sah elend aus. Zähneknirschend ließ ich sie in mein Zimmer. Sie lief zielstrebig zu dem einzigen Stuhl und setzte sich, unbeeindruckt von meiner abweisenden Miene. Ohne mich anzusehen, begann sie mit ihrer Geschichte.
»Vor zwei Monaten habe ich meine Familie das letzte Mal umarmt. Wir hatten ein altes Bauernhaus in den Voralpen, wo ich – dank meiner beiden Stiefbrüder – sehr behütet aufwuchs. Weshalb ich wahrscheinlich auch auf die Idee kam, meine letzten Schuljahre in einem Internat zu verbringen. Es war genial. Ich hatte beides: Geborgenheit und Unabhängigkeit.« Susan schloss die Augen und sammelte sich, bevor sie fortfuhr.
»Als der See zufror, war ich kaum zu bremsen. Ich packte meine Schlittschuhe und kostete jede freie Minute auf dem Eis aus. Nachdem es wärmer wurde und wir aus Sicherheitsgründen den See nicht mehr betreten durften, war ich todunglücklich.«
Susan hielt inne und seufzte. »Na ja, wohl eher enttäuscht. Wenn ich damals auch nur geahnt hätte, was ich heute weiß, hätte ich es vielleicht verhindern können. Jedenfalls träumte ich in der Nacht, dass das Eis noch halten würde. Als ich aufwachte, schlich ich mich hinaus – die Versuchung war so groß, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. In Hochstimmung lief ich los und drehte meine Runden: Ich hatte die wachehaltenden Mentoren ausgetrickst und den See ganz für mich allein.«
Susan blickte auf, und ich sah Tränen in ihren Augen schimmern. »Als das Eis unter meinen Füßen brach, konnte niemandmeine Hilfeschreie hören. Die Strömung zog mich nach unten. Es war ... es war schrecklich! Dunkel, eisig. Es war überall. Ich ... ich hatte keine Chance.«
Susan verstummte für einen kurzen Moment und sammelte sich erneut. »Gestern durfte ich meine Familie zum ersten Mal wiedersehen. Ich weiß nicht, was schlimmer war!«
In einem Anflug von Mitleid wollte ich meine Arme um Susan legen, doch sie wehrte mich ab. »Ich bin noch nicht fertig. Ich war nicht allein, als ich sie besuchte.«
Eine furchtbare Ahnung stieg in mir auf. »Christopher? Er ist – dein Tutor?!«
»Ja.«
»Und ... und woher wusstest du, dass ich euch ...?« Bei der Erinnerung an die beiden blieben mir die Worte im Hals stecken.
»Ich war mir nicht ganz sicher, aber als Chris zu mir kam und von deiner Anschuldigung erzählte, habe ich mir zusammengereimt, dass du es warst.«
»Dann ... dann seid ihr nicht ...?«
»Nein! Er stand mir zur Seite, als ich Trost brauchte.«
Ich fühlte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Ich hatte Christopher verdächtigt, mich zu hintergehen, und ihm nicht einmal die Chance gegeben, sich zu verteidigen. War meine Liebe zu ihm so schwach und zerbrechlich, dass ich dermaßen schnell an ihm zweifelte?
»Worauf wartest du?«, fragte Susan.
»Ich weiß nicht, wie und wo ich ...«
»Wie, wird dir schon
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