Schloss der Engel: Roman (German Edition)
mich. Sonderbar berührt, von einer wildfremden Frau umsorgt zu werden, ließ ich ihre Nähe zu und versank erneut in meinem Kummer.
»Nimm. Deine. Hände. Von ihr!«
Christophers beherrschte Stimme dröhnte bedrohlich über den Grabhügel. Noch ehe ich zu ihm aufsehen konnte, wurdeich nach hinten gegen das Hünengrab gestoßen und durch eine gut verborgene Öffnung gezwängt. Schwarze Leere empfing mich und zog mich hinab. Der Aufprall war schmerzhaft. Viel schlimmer jedoch das Wissen, worauf ich gelandet war: Knochen, skelettierte Körper und menschliche Schädel empfingen mich mit einem morbiden Knirschen, und der modrig dumpfe Geruch, der sie umgab, half nicht gerade, mich zu beruhigen.
Panisch kreischte ich um Hilfe, aber die rauen Steinwände erstickten meine Schreie, noch bevor jemand sie hören konnte. Verzweiflung und Wut, genährt von Angst und der Eifersucht durch Christophers falsches Spiel, besiegten meinen Verstand. Wie besessen hämmerte ich gegen die unverrückbaren Steine, schlug auf sie ein, als könnte ich sie mit bloßer Willenskraft verschieben. Blut rann über meine aufgeschlagenen Knöchel – doch ich spürte nichts.
Schließlich gab mein erschöpfter Körper nach, und ich fiel in den aufstöhnenden Skelettteppich zurück. Unfähig, vernünftig zu denken, saß ich in meinem kalten Verlies, starrte ins Nichts und verlor mich in meinen trüben Gedanken, als die Wut verraucht war und nur noch die Eifersucht blieb. Ich nahm weder das Seil, das neben mir hinabglitt, noch Arons Rufe wahr. Erst als ein kleiner Kieselstein auf meinem Kopf landete, erwachte ich aus meiner Trance.
»Lynn, komm zu dir und nimm endlich das Seil!«
Es dauerte eine Weile, bis ich den Strick im Dunkeln fand. Wie ein Blinder tastete ich durch die Luft mit dem Gefühl, jeden Augenblick von einem Skelett umarmt zu werden. Schließlich bekam ich das Seil zu fassen und gab Aron ein Zeichen.
»Zieh dich daran hoch oder bind es dir um die Taille, damit ich dich nach oben ziehen kann.«
Arons Stimme klang befehlend. Ein leiser, beunruhigter Unterton schwang in ihr mit, der mich zur Besinnung brachte. Ich war gut im Klettern, ich brauchte keine weitere Hilfe, um demGrab zu entkommen. So schwach war ich nun auch wieder nicht – oder wollte es zumindest nicht sein.
Zügig kletterte ich das Seil empor und zwängte mich durch den schmalen Ausstieg. Arons Hände halfen mir beim letzten Stück und rissen mich förmlich auf die Beine. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zerrte er mich hinter sich her. Trotz seiner Eile konnte ich einen Blick auf Christopher werfen, der in seiner Engelsgestalt drohend über der kleinen Menschenfigur schwebte. Er wirkte mächtig, bedrohlich, und in diesem Moment fürchtete ich mich zum ersten Mal vor ihm.
Mit schreckgeweiteten Augen starrte ich ihn an, bis Aron mir den Blick verstellte. Es musste meine Fassungslosigkeit gewesen sein, die ihn dazu veranlasste, mich weiterzudrängen.
Nur wenig später hielt Aron an. »Hier bist du sicher.«
Kaum dass er zu Ende gesprochen hatte, erschien Christopher hinter uns. Ohne das geringste Zögern eilte er zu mir, um mich in seine Arme zu ziehen.
»Rühr mich nicht an!« Meine Stimme spiegelte meine Entschlossenheit wider: Was für ein arroganter Mistkerl! Wie konnte er es wagen, mich umarmen zu wollen, nachdem er kurz zuvor mit Susan Zärtlichkeiten ausgetauscht hatte? Für wen hielt er sich? Für Casanovas Bruder?
Christopher blieb stehen. Verunsichert streckte er eine Hand nach mir aus – langsam, in der Art, wie man sich einem verängstigten Tier nähert.
»Lynn, es ist vorbei. Du bist in Sicherheit.«
»Und ich sagte, dass du mich nicht anfassen sollst!«
Christophers Hand blieb auf halbem Weg stehen. Sein Blick wanderte zu Aron. Als Aron nickte, sank sie kraftlos herab. Kummer lag in Christophers Zügen, und ich musste mich von ihm abwenden, um seiner Anziehungskraft nicht zu erliegen.
»Lynn, wie konntest du nur so leichtsinnig sein?« Aron mischte sich ein und durchbrach die angespannte Stille.
Ich funkelte ihn böse an, doch anstatt mich auf ein Wortgefecht einzulassen oder nachzufragen, was da gerade passiert war, drängte ich mich an ihm vorbei. Ich war viel zu durcheinander, um einen klaren Gedanken fassen oder Christopher noch einmal in die Augen sehen zu können.
Erst nachdem ich den alten Burghügel neben dem Schloss erreicht hatte, begann ich zu rennen: über den Kiesweg zum Schloss, durchs Foyer, die Treppe nach oben. Und erst als
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