Schloss der Engel: Roman (German Edition)
fröhlich und unbeschwert zu erleben, entließen mich meine Eltern nach der ausgiebigen Pasta-Mahlzeit, und ich zog mit Emilia los, auf der Suche nach unseren Freunden. Es fühlte sich gut an, mit ihr und dem schlaksigen Stefano, einem Klassenkameraden von Philippe, durch die engen Gassen unseres Dorfes zu schlendern. Und es roch herrlich: nach Frühling. Der milde Winter, der indiesem Jahr nur wenig Schnee gebracht hatte, trat bereits seinen Rückzug an – und ich würde übermorgen wieder in die sibirische Kälte geschickt werden!
»Lynn, wenn du so weitermachst, läufst du bald rückwärts. Philippe und Antonio warten auf uns«, drängte Stefano weiter, als ich an einer zartrosa Kirschblüte schnupperte, die über eine Gartenmauer lugte.
Das Leuchten in Philippes dunkelbraunen Augen verriet, dass ich ihm mehr gefehlt hatte als er mir. Stürmisch umarmte er mich. Vielleicht lag es daran, dass er endlich erkannte, was er an mir hatte – hätte haben können! Er ließ mich erst los, als Antonio, sein jüngerer Bruder, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah, ihn grob zur Seite schubste.
»Philippe, du erdrückst sie ja! Geh weg und gib mir auch ein Stück von ihr, bevor sie erstickt. Du hast sie ja morgen den ganzen Tag für dich.«
»Ich ... ich weiß nicht, ob Lynn vielleicht schon etwas anderes vorhat«, antwortete er beinahe schüchtern ?!
Was war los mit dem großgewachsenen, selbstsicheren Philippe? Verunsicherte ich ihn? Ich presste meine Lippen zusammen, bis ich mir sicher war, dass mir nicht irgendetwas Dummes herausrutschte.
»Meine Mutter hat mich schon darauf vorbereitet, dass ich den Samstag mit dir verbringen muss. Und ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen als eine Spritztour mit euch allen.«
Emilia quietschte vor Vergnügen. Philippe hingegen schien wenig begeistert zu sein und fuhr sich durch seine schwarzen Wuschelhaare, hatte ich doch, durch meine großzügige Einladung an die anderen, seinen allzu offensichtlichen Plan zunichtegemacht. Aber ich wollte nicht einen ganzen Tag allein mit ihm verbringen – nicht wenn er solo und so drauf war. Seine großzügige Vorliebe für alles Weibliche zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig, einschließlich der dazugehörenden Baggertechniken,kannte ich nur allzu gut. Und ich wollte unsere Freundschaft nicht gefährden. Er war mein bester Freund – und das sollte auch so bleiben!
»Wenn du nur unter dieser Bedingung bereit bist«, knurrte er.
Doch seine gute Laune ließ nicht lange auf sich warten, als wir mit vier riesigen Freundschaftsbechern meine unerwartete Rückkehr in unserem Lieblings-Eiscafé feierten, bis uns die Bedienung kurz nach ein Uhr rausschmiss.
Wie üblich brachte Philippe mich nach Hause. Das hatte sich eingebürgert, seit er seine Beschützerrolle übernommen hatte. Er drückte mir einen Kuss auf die Wange – ungewohnt linkisch, als wäre es sein erster Abschiedskuss.
Was war bloß in ihn gefahren?
»Ich freu mich schon auf morgen«, flüsterte er, bevor er mich losließ.
Ich trat schnell einen Schritt zurück, als mein Vater die Tür öffnete. Er musterte mich überrascht, und in seinen hellen Augen stand eine unausgesprochene Frage. Dann zog er eine seiner ausgebleichten Brauen nach oben, so dass sie beinahe seine strohblonden Haare berührte, während er mahnend auf seine Armbanduhr schaute.
»Du bist später dran als vereinbart.«
»Ich muss fast einen ganzen Monat nachholen. Im Internat ist um halb elf Zapfenstreich«, übertrieb ich und mogelte mich an ihm vorbei, da ich wusste, dass seine ernste Miene nur aufgesetzt war.
Martin, mein Vater, war alles andere als streng. Fürsorglich, ja, und nachgiebig, wenn meine Mutter oder ich etwas von ihm wollten.
»Weck mich bitte nicht vor zehn. Ich möchte ausschlafen. Außerdem wird es morgen noch um einiges später. Stefano, Emilia und Antonio kommen mit zu unserem Ausflug.«
Mein Vater sah mir kopfschüttelnd hinterher. Er mochte Philippe, der ab nächsten Sommer in Rom Wirtschaft studieren wollte, obwohl er seine schlechte Angewohnheit, was Mädchen betraf, kannte. Denn er wusste, dass ich von meiner Schwärmerei geheilt und gegen Philippes italienischen Charme inzwischen immun war.
Glücklich und müde kuschelte ich mich unter die Bettdecke und genoss meine vertraute Umgebung: die Bilder in den weißen Rahmen an der Wand, die erdbeerrot gestrichen war, meinen meerblauen Teppich, den ich selbst ausgesucht hatte, und meinen vertrauten Kuschelbären mit meinem
Weitere Kostenlose Bücher