Schloß Gripsholm
verschwollen,
wie es verheulte Kinder haben … es sah vielmehr leer ge-
weint aus, und in den bräunlichen Haaren lag ein goldner
Schimmer. Es sah uns an, so müde und gleichgültig, wie es
einen Baum angesehn hätte. In einem Anfall von Übermut
und Kinderliebe steckte ihm die Prinzessin zwei kleine
Glockenblumen, die wir gepflückt hatten, in die Hand. Das
Kind zuckte zusammen, dann sah es auf, seine Lippen be-
wegten sich; es wollte vielleicht etwas sagen, danken … da
drehte sich vorn die Person um, die Kleine beschleunigte
ihre Schritte und hoppelte ängstlich der Schar nach. Staub
und das Geräusch der marschierenden Kinderfüße. Dann
war das Ganze vorüber.
„Merkwürdiges kleines Mädchen“, sagte die Prinzessin.
„Was sind denn das für Kinder? Wir wollen nachher einmal
fragen … Peter, mein Sohn, gibt es hier eigentlich Nord-
licht? Ich möchte so gern mal ein Nordlicht sehn!“
„Nein“, sagte ich. „Doch, ja. Aber alles, was man sehn
will, meine Tochter, findet immer grade in dem Monat statt,
wo man nicht da ist … Das ist so im Leben. Aber das be-
kommst du erst in der nächsten Klasse. Nordlicht — ja …“
„Ich denke es mir wundervoll. Ich habe mal als Kind im
Konversationslexikon eins gesehn — das war überhaupt
eine Welt für sich, das Lexikon, mit den kleinen Seiden-
papierblättchen … Und da waren sie abgebildet, die Nord-
lichter, ganz bunt und groß, sie sollen ja über den halben
Himmel gehn. Ich glaube, ich hätte eine ungeheure Angst,
wenn ich das mal sehe. Denk mal, große, bunte Lichter am
Himmel! Wenn das nun herunterkommt! Und einem auf
den Kopf fällt! Aber sehn möchte ich es schon mal …“
Blaßblau wölbte sich der Himmel über uns; an einer
Stelle des Horizonts ging er in tiefes Dunkelblau über, und
da, wo die Sonne vorhin untergegangen war, leuchtete es
gelbrosig, es schimmerte und blinkte nur noch ein wenig.
„Lydia,“ sagte ich, „wollen wir uns ein Nordlicht machen?“ —
„Na …“ — „Sieh mal,“ sagte ich, und deutete mit dem Fin-
ger nach oben, „siehst du, siehst du — da — da ist es —!“
Wir sahen beide fest nach oben — wir hielten uns an
den Händen, Pulsschlag und Blutstrom gingen von einem
zum andern. In diesem Augenblick hatte ich sie so lieb wie
noch nie. Und da sahen wir unser Nordlicht.
„Ja —“ sagte die Prinzessin, leise, damit sie es nicht ver-
scheuchte. „Das ist ja wunderbar. Ganz hellgrün — und
da — rosa! Und Kugelstreifen — und das da, ganz spitz-
hoch … Sieh mal, sieh mal!“ Jetzt wagte sie es, schon
lauter zu sprechen, denn nun leuchtete uns das Nordlicht
wie wirklich. „Das sieht aus wie eine kleine Sonne“, sagte
ich. „Und da, wie geronnene Milch, und da, weiße Zirrus-
wölkchen … blau … ganz hellblau!“ — „Guck, und am
Horizont geht es gewiß noch weiter — da ist alles ganz
silbergrau. Daddy, ist das schön!“
Wir standen still und sahen nach oben. Ein Wagen
klapperte vorüber und schreckte uns auf. Der Bauer, der
auf dem Bock saß und freundlich grüßte, sah nun auch
nach oben, was es da wohl gäbe. Wir sahen erst ihn an,
dann die Wiesen, die ein wenig kalt und grau dalagen. Wir
lächelten, wie beschämt. Dann blickten wir wieder zum
Himmel auf. Da war nichts. Er lag glatt, blau und halbhell.
Da war nichts.
„Peter …“ sagte die Prinzessin. „Peter …“
4
„Sagen Sie bitte, Frau Andersson,“ sagte ich zu der Schloß-
dame, die uns einen schönen guten Abend bot, und ich
sprach ihren Namen ‚Anderschon‘ richtig aus — „was
mögen das für Kinder sein, denen wir vorhin begegnet
sind? Da … da hinten … in den Wiesen?“ — „Ja, da sind
viele Kinder. Das ist wohl Bauernjungen, die spielen da
viele Gängen …“ — „Nein, nein. Es waren kleine Mäd-
chen, sie gingen geordnet, wie ein Institut, eine Schule, so
etwas …“ — „Eine Schule?“ Frau Andersson dachte nach.
„Ah — das werden die von der Frau Adriani gewesen sein.
Von Läggesta.“ Und sie deutete über den See, wo man weit,
weit in einer Lichtung recht undeutlich ein großes Gebäude
liegen sah. „Das ist ein Pensionat, das ist eine Kinderkolo-
nie. Ja.“ Dazu machte sie ein Gesicht, wie ich es noch nie
bei ihr gesehen hatte. Ich wurde neugierig. Man soll nie
jemand nach dem fragen, was man wissen will, das ist eine
alte Weisheit. Dann sagt ers nicht. „Da sind gewiß viele
Kinder … wie?“ — „Ja, eine heile
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