Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
wollte.
»Schallmos Hure«, murmelte ich. »Schallmo, du Hure!« Noch zweimal wiederholt,
und das Gekritzel wurde zum Mantra. Im Endeffekt war es gleich, wie genau man die
Botschaft zu lesen hatte; um die Tatsache, dass der Schreiber auf Schallmos Verhältnis
zu der Unbekannten verweisen und ihn so posthum diffamieren wollte, kam man nicht
herum.
Ich sah auf die Uhr. Wenn ich noch eine halbe Stunde wartete, konnte
ich Steve Bungert fragen, ob er das Mädchen kannte. Aber erstens glaubte ich nicht
so recht daran, dass die Schwarzhaarige hier zur Schule ging, und zweitens gab es
noch einen anderen, bei dem ich mich erkundigen konnte. Ich schwang mich aufs Rad.
»Lass mal sehen«, brummte Fred, als ich ihm das Foto auf die Durchreiche
legte. Ich hatte das Blatt so geknickt, dass die Schrift nicht zu lesen war. »Da
brauche ich meine Brille. Einen Moment.«
»Aber nicht spicken! Nur das Foto.«
Er nickte und setzte sich eine Lesebrille auf, die er aus seiner Hemdtasche
gefummelt hatte. »Tja«, machte er. »Sieht nach der Dings aus, der vom College.«
»Welche Dings? Heißt sie vielleicht Nadja?«
»Den Namen weiß ich nicht. Aber die kommt ab und zu hier vorbei, zusammen
mit ihren Schulfreunden. Heißer Feger, sag ich dir. Olé, olé, España!«
»Eine Spanierin?«
»Halb auf jeden Fall. Darf ich jetzt?« Er faltete das Blatt auseinander.
»Schallmo Hure«, murmelte er. »Schau an. War die etwa auch mit dem Kerl zugange?«
»Das wollte ich dich fragen.«
Achselzuckend gab er mir den Zettel zurück und
steckte die Brille wieder ein. »Was geht es mich an, wer mit wem zusammen ist oder
sich gerade wieder getrennt hat. Verlierst ja eh den Überblick bei dem ganzen Gemauschel.
Mich interessiert bloß, wer wie viele Würstchen bei mir isst.«
»Und? Prophezeiung eingetroffen? Der Laden brummt wie nie?«
Grinsend entblößte der Imbissbesitzer eine Reihe eingedunkelter Zähne.
»Ich kann nicht klagen. Vier Kannen Kaffee seit heute Morgen, das ist Rekord. Da
hat es sich richtig gelohnt, schon um acht aufzumachen.«
»Und wie war’s bei den Bullen?«
»Ach, die!« Wegwerfende Handbewegung. »Musste halt alles noch mal erzählen,
anschließend noch mal und dann unterschreiben. War froh, als ich wieder draußen
war.« Er kratzte sich am Kopf. »Bei denen in den Gängen riecht’s immer so komisch.
So nach alter Farbe oder Plastik … oder sie kippen sich was in den Tee. Würde ich
wahrscheinlich auch, wenn ich Polizist wäre.«
»Ich werde mich erkundigen. Aber zurück zu dem Mädchen: Du sagtest
etwas von einem College?«
»Kurpfalz College. Kennst du das nicht? Ist hier gleich um die Ecke.«
»Gleich um die Ecke ist die Rohrwaldschule.«
»Um die andere Ecke. Hier, diese Richtung.« Sein Finger wies nach Osten.
»So ein privater Eliteschuppen. Kann sich natürlich nicht jeder leisten.«
»Ein Elitegymnasium?«, lachte ich. »Also exakt das Gegenteil zur Rohrwaldschule.
Das nenne ich ein lustiges Zusammentreffen. Und du mittendrin!«
»Das Gegenteil? Ich weiß nicht. Die Collegekinder tragen andere Klamotten
als die Hauptschüler, und wahrscheinlich können sie Shakespeare rückwärts im Original,
aber sonst? Würstchen mögen sie alle.«
Klar, Würstchen mochte jeder. Von den paar Vegetariern auf unserem
Planeten einmal abgesehen. Das war ja fast eine philosophische Einstellung, die
Fred da zum Besten gab. Sollten sich andere ein Scheibchen – ein Würstchenscheibchen,
genau – davon abschneiden. Während er einen älteren Herrn bediente, der auf einen
Kaffee und eine Rosinenschnecke vorbeikam und natürlich gleich das Gespräch auf
den Toten von vorgestern brachte, ließ ich mir die neuen Informationen durch den
Kopf gehen. Dass es eine Reihe von Privatschulen in Heidelberg gab, wusste ich,
mehr aber auch nicht. Doch: Marc Covet hatte mal erzählt, dass sie den staatlichen
Gymnasien ordentlich Konkurrenz machten, weil ihr Ruf so gut war. Angeschaut hatte
ich mir noch keine von ihnen, wozu auch. Kurpfalz College … So richtig hübsch fand
ich das Aufeinandertreffen der alten Regionalbezeichnung mit dem trendigen Anglizismus
ja nicht. Aber wer fragte schon einen konservativen Privatflic, der an seine Schulzeit
alle möglichen Erinnerungen hatte, nur keine guten?
»Nicht zu fassen«, sagte der ältere Herr kauend. »Erschossen, einfach
so! Und das bei uns! In welcher Welt leben wir eigentlich?«
»Auf einem kugelrunden Planeten«, antwortete Fred gleichmütig, »der
durchs Weltall eiert und in ein paar
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