Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Millionen Jahren nicht mehr existiert. Dann
fragt keine Sau nach uns.«
Der Mann hörte auf zu kauen und warf mir einen Hilfe suchenden Blick
zu.
»Da hat er recht«, meinte ich.
»Und deshalb«, fuhr Fred fort, »sollten wir unsere wenigen verbleibenden
Stunden hier genießen. Noch ein Käffchen, Herr Weber?«
Der Mann nickte erleichtert.
»Übrigens ist das gar nicht so erstaunlich«, sagte Fred, während er
einschenkte. »Das mit dem College hier unten. Soviel ich weiß, existiert das Ding
erst seit 20 Jahren. Und nun finde mal in Heidelberg eine passende Immobilie in
bester Lage! Auch so eine Privatklitsche hat nicht unbegrenzt Geld.«
»Was weißt du noch über das Mädchen? Alter, Klassenstufe, Freunde?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts, gar nichts. Bin doch keine Tratschtante,
Max.«
»Das ist er wirklich nicht«, pflichtete sein Kaffeekunde bei.
»Sie hat gern Jungs um sich – oder sagen wir so: Die Jungs vom College
haben sie gern dabei. Kann man ja verstehen. Aber einer von denen ist ihr Freund,
glaube ich. So ein Blonder. Wobei: Wissen tu ich es nicht.« Nachdenklich fuhr er
sich übers Kinn, während sein Blick in die Ferne schweifte. »Wenn mich nicht alles
täuscht, hat ihre Klasse gerade Sport.«
»Jetzt? Wo?«
»Na, da drüben.«
Ich folgte seinem Blick. »Drüben? Du meinst, auf dem Sportgelände?«
»Die Stelle, wo der Mörder stand, ist noch abgesperrt. Aber die Laufbahn
und die Sportplätze dürfen wieder benutzt werden. Die Gruppe, die dort Basketball
spielt, das sind sie.«
»Dann werde ich das gleich mal überprüfen.« Ich steckte den Zettel
ein und ging.
11
Fred mochte Probleme mit der Nahsicht haben; auf größere Entfernung
funktionierten seine Augen einwandfrei. Durch die Umzäunung erkannte ich die Gesuchte
sofort. Ein heißer Feger, hatte der Imbissbesitzer sie genannt. Besser hätte ich
es auch nicht ausdrücken können. Zusammen mit einer Handvoll anderer Mädchen fegte
sie über ein Basketballspielfeld. Aber wie! Zack, hatte sie ihre Kontrahentin angerempelt
und den Ball erobert. Ihre schwarzen Haare flogen. Dann ein Abspiel, das daneben
ging. Fluchend stampfte sie mit dem Fuß auf. Ein hübscher kleiner Wutausbruch einer
hübschen jungen Dame.
Das war mein erster Eindruck der angeblichen Schallmo-Hure, und ich
wollte ihn vertiefen. Also schritt ich an Hecke und Zaun vorbei bis zur Straße,
wo sich der Zugang zum Sportgelände befand, ein altes, verrostetes Tor. Es stand
offen.
Niemand beachtete mich, als ich mich mit etwas Abstand zu den Basketballplätzen
auf einem Betonwürfel niederließ. Auf dem Feld neben dem der Mädchen trainierten
die Jungs der Klasse. Insgesamt waren es nur 15 Schüler, dazu ein Lehrer. Ihre Taschen
und Rucksäcke lagen wild verstreut am Spielfeldrand, Plastikflaschen standen herum.
Privatgymnasium – das sah man. Ja, man sah es, Vorurteile hin oder
her. Zumal mit meinen noch frischen Erfahrungen von der Hauptschule, oder wie das
Ding jetzt hieß. Die Schüler hier trugen nicht nur andere Klamotten, hatten andere
Sporttaschen und andere Frisuren. Sie verhielten sich auch völlig anders. Okay,
sie waren etwas älter, zwischen 16 und 18, meiner Schätzung nach, aber das spielte
keine große Rolle. Die Ironie, mit der sie ihre Spielzüge kommentierten, zeugte
von Überlegenheit, da saß jede Bemerkung. Bei den Hauptschülern ging es immer um
Selbstbehauptung; so etwas hatten die hier gar nicht erst nötig. Sie schöpften aus
einer Sicherheit, die irgendwo tief drinnen saß. Hinterm Bauchnabel wahrscheinlich.
Ich bin ich.
Stimmte das?
Ich legte ein Bein über das andere, nahm sozusagen Talkshowhaltung
ein und fing an mich zu befragen. Nun mal ehrlich, Herr Koller: was, wenn Sie nichts
vom Kurpfalz College gewusst hätten? Hätten Sie diese Jugendlichen trotzdem für
Schüler eines Elitegymnasiums gehalten? Für Kinder reicher Eltern? Richter und Ärzte,
Akademikerhaushalt, und zum Frühstück eine dicke Portion Ehrgeiz aufs Ganzkornbrot
– hätten Sie?
Tja. Hätte ich? Räusper, räusper. Lassen Sie es mich so ausdrücken
… Doch, ich glaube schon. Wer kann schon aus seiner Haut? Natürlich war es eine
Äußerlichkeit, ob die Poritze aus der Discounterjeans lugte oder das längsgestreifte
Hemd aus der Barbourjacke, aber sie entschied, welche unserer Schubladen sich öffnete.
Der Typ dort vorn mit den dicken Lippen und der blonden Föhnwelle, der nur die sparsamsten
Bewegungen machte – wenn dem nicht blaues Blut in den Adern
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