Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Verwirrung die Brille von der Nase. Beim Versuch, der
Hausherrin entgegenzueilen, rammte er sein Schienbein gegen den Couchtisch. Dafür
widmete ihm Christine ein Lächeln, wie ich es seit unserer Hochzeit nicht mehr an
ihr entdeckt hatte.
Den Vogel aber schoss Kommissar Fischer ab. Mit durchgedrücktem Kreuz
– die Bandscheiben, Herr Fischer, die Bandscheiben! – kam er auf meine Ex zu und
gab ihr einen Handkuss!
»Enchanté«, flötete er dazu. »Ich war mir immer sicher, dass es sich
bei der Frau, die diesen Mann an ihrer Seite erträgt, um eine Mischung aus Kleopatra
und Florence Nightingale handeln muss. Oder trete ich Ihnen damit zu nahe?«
»Solange Sie keine Mutter Teresa aus mir machen«, gab Christine trocken
zurück. »Ganz so alt fühle ich mich nämlich noch nicht.«
Ich bekam Schnappatmung. Kleopatra? Von welchem Dachboden hatte Fischer
denn die hergezaubert? Um eines mal klarzustellen: Wenn es auf dieser Welt eine
Frau gibt, die meinen Augen guttut, dann Christine. Aber das heißt noch lange nicht,
dass man sie auf eine Stufe mit den heißesten Fegern der Geschichte stellen muss!
Freds Wortwahl, ich weiß. Verglichen mit Mädchen wie Inez handelt es sich bei Christine
M. um eine durchschnittlich attraktive Frau, die dem Älterwerden überdurchschnittlich
heroisch trotzt und der beim abendlichen Kinogang sogar ab und zu einer hinterher
starrt, wenn sie sich geschminkt hat. Nicht mehr und nicht weniger. Mit Kleopatra
brauchte mir keiner zu kommen.
Und wer bitte war diese Miss Nightingale?
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«, fragte meine Ex.
»Gern«, nickte Greiner. Dann fiel ihm auf, dass auf dem Tisch noch
ein Bier stand, und er winkte ab. Dito Kommissar Fischer.
»Ich würde ein Pilschen nehmen«, meldete sich Sorgwitz.
Der trinkt doch nur Weizen, wollte ich sagen, aber ich hatte keine
Stimme mehr.
»Wenn es Ihnen recht ist, leiste ich Ihnen Gesellschaft«, meinte Christine.
»Ich habe nämlich auch Durst auf ein Bier. Oder störe ich?«
»Aber nein«, wehrte Fischer ab.
»Ganz und gar nicht!«, rief Sorgwitz.
»Sie und stören«, schüttelte Greiner den Kopf.
Und wie du störst, dachte ich. Aber wer hörte schon auf das, was ich
dachte?
Solange Christine in der Küche nach dem Bier suchte, herrschte Stille
im Wohnzimmer. Totenstille. Männer, die in Ecken starren. Kaum war Christine wieder
da, ging das Geplapper weiter.
Kommissar Greiner: »Schöne Glassachen haben Sie da.«
Kommissar Sorgwitz: »So eine Couch wollte ich mir schon immer mal anschaffen.«
Kommissar Fischer: »Wir bleiben gewiss nicht lange.«
»An den beiden Herren hier solltest du dir ein Vorbild nehmen, Max«,
sagte Christine. »Man kann auch Socken ohne Löcher tragen.«
Eine zarte Röte überflog das Gesicht des Kampfhunds. Kollege Rottweiler
bekam fast einen Krampf bei dem Versuch, seine Füße unter der Couch zu verstecken.
»Ja, liebe Frau Markwart«, meldete sich Fischer zu Wort, »wir waren
eben dabei, mit Ihrem Mann über …«
»Exmann«, krächzte ich dazwischen. Es tat gut, die eigene Stimme zu
hören, auch wenn es nur das Wrack einer Stimme war.
»Mein Mitbewohner, wollten Sie sagen«, lächelte Christine milde und
nahm einen Schluck.
»Unser Schafkopfpartner, richtig. Ein Mann mit vielen Gesichtern, der
Herr Koller. Wie auch immer, wir sprachen gerade über seine aktuelle berufliche
Situation und wie hilfreich seine Ermittlungen für uns sind.«
»Tatsächlich?«
»Hin und wieder zumindest. Gerade heute zum Beispiel … Hat er Ihnen
eigentlich gesagt, wo und mit wem er heute zu tun hatte?«
Greiner und Sorgwitz nuckelten völlig unbeteiligt an ihren Bierflaschen
herum. Christine sah kurz zu mir herüber, dann wieder zu Fischer. Selbst wenn ich
es vermocht hätte, ihr irgendwelche Zeichen zu geben, ich hätte es überhaupt nicht
gewollt. Mir war alles egal!
»Heute?«, überlegte sie. »Ja, da war er in der Chirurgie.«
Das saß.
Jetzt nuckelten sie nicht mehr, die beiden Helden, sondern glotzten
meine Ex an. Auch Kommissar Fischer riss seine alten Augen auf. Aber all das war
nichts gegen meine eigene bodenlose Verblüffung. Woher wusste Christine von meinem
Klinikbesuch? Wir hatten uns doch den ganzen Tag nicht gesehen!
»Da«, röchelte ich. »Da habt ihr’s, ihr Raubritter!«
»In der Chirurgie«, wiederholte Fischer nachdenklich. »Und was hat
er dort gewollt, Ihr Mann?«
»Arztgeheimnis«, rief ich und verschluckte mich fast an den Konsonanten.
»Absolutes Arztgeheimnis,
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