Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
gefahren? Wollte er nun, dass der Mord aufgeklärt würde, oder wollte er nicht?
Ich winkte der Bedienung. »Noch einen Kaffee, bitte!« Dann steckte ich das Handy
ein. 20 vor neun.
Als der Kaffee kam, bezahlte ich sofort. War ja gut möglich, dass ich
die Bäckerei Hals über Kopf verlassen musste. Noch blieb alles ruhig. Von den Leuten,
die das Haus betraten oder es verließen, kannte ich niemanden. Einmal glaubte ich
schon, meinen Kumpel Fatty entdeckt zu haben, doch dann war es bloß eine blonde
Speckrolle, die ihm von Ferne ähnlich sah.
»Tschuldigung«, murmelte ich grinsend.
Endlich kam Fikrets Schwester. Die kleine, die uns tags zuvor den Tee
gebracht hatte. Brav im langen Kleid und mit Kopftuch, einen leeren Einkaufskorb
in der Hand und in Begleitung einer jungen Frau. Diese hatte ebenfalls den Kopf
bedeckt, trug aber eine helle Jacke zu Jeans. Ich stürzte meinen Kaffee hinunter
und verließ das Café.
Mein Rad lehnte unabgeschlossen an einer Hauswand. Kein Grund zur Eile,
denn noch standen die beiden vor dem Haus und unterhielten sich. Irgendwann gab
die Ältere der Kleinen einen freundschaftlichen Klaps und marschierte allein los.
Die Zwölfjährige winkte ihr kurz nach, um anschließend die entgegengesetzte Richtung
einzuschlagen.
Das Rad neben mir herschiebend, folgte ich der Älteren. Solange sie
zu Fuß ging, hielt ich einfach auf meiner Straßenseite mit ihr Schritt und kontrollierte
aus den Augenwinkeln, ob sie nicht abbog. Aber genau das tat sie schon nach wenigen
Metern. Sie wandte sich nach links, um das Sockelgeschoss des Hochhauses herum.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich stürzte mich mitsamt Fahrrad in den Verkehr,
zwang einen Autofahrer zur Vollbremsung und kam mit Müh und Not heil auf der anderen
Straßenseite an. Aber wo war die Unbekannte? Fort, verschwunden, wie vom Erdboden
verschluckt! Zwischen den Häuserklötzen gab es einen breiten Durchgang, der zu einem
Grünstreifen führte. Wäre sie in dieser Richtung weitergegangen, müsste ich sie
noch sehen. Doch ich sah sie nicht. Hatte sie sich versteckt? Sie konnte unmöglich
bemerkt haben, dass sie verfolgt wurde. Nicht nach 30 Metern!
Ich stellte mein Rad ab und sah mich um. Ein Telefonladen, ein Frisör,
eine Reinigung, eine Apotheke … alles ruhig. Ein paar Schilder, die auf Arztpraxen
hinwiesen. Passanten: jüngere, ältere, in Grüppchen, allein. Nur meine Unbekannte
nicht. Wo um alles in der Welt war sie hin?
Durchatmen. An den Lippen nagen. Den Kopf schütteln, fluchen: »Das
kann doch nicht wahr sein!« Und wenn doch? Dann, Leute, hatte ich soeben sämtliche
Negativrekorde in Sachen Beschattung gebrochen. Zielobjekt innerhalb von 20 Sekunden
verloren – so dämlich stellte sich nicht einmal Fatty an, wenn er den Aushilfsdetektiv
spielte. Schande über mein Haupt!
Ich rannte los, zu dem Grünstreifen. Nichts. Auf einer Bank ein paar
Alte, zwei streitende Jungs, ein Hundeverbotsschild. Spürhunde hätte ich jetzt gebraucht.
Zurück zum Rad. Die Geschäfte: alle noch geschlossen, bis auf die Reinigung, und
deren Kundenraum war gähnend leer. Gab es Privateingänge? Nein. Das heißt, es gab
sie doch, aber erst weiter hinten, da hätte ich die Frau sehen müssen. Sofern sie
keinen Zwischenspurt eingelegt hatte. Was für ein Mist! Zum ersten Mal seit langer
Zeit bedauerte ich, dass meine Haare zu kurz zum Raufen waren.
Aber schon im nächsten Moment fuhr ich mir nachdenklich über den Schädel.
Haare … Wieso juckte es mich beim Stichwort Frisör auf der Kopfhaut? Richtig: Schallmos
Telefonliste. Er war zweimal von einem Frisörladen aus angerufen worden. Beide Male
kurz vor seinem Tod. Ich hatte die Nummer ja selbst kontrolliert. Und wenn ich mich
recht erinnere, hatte sich die Dame am anderen Ende mit Salon Kaiserschnitt gemeldet.
Frisörsalon Kaiserschnitt: So stand es über dem Eingang des noch geschlossenen
Geschäfts. Zufall? Vielleicht. Irgendwo musste sich Thorsten Schallmo ja die Locken
stutzen lassen. Und er wohnte nicht weit entfernt. In diesem Augenblick jedoch,
da mir die junge Frau mit dem Kopftuch auf so rätselhafte Weise entwischt war, glaubte
ich nicht an Zufall.
Öffnungszeiten am Samstag: 9.00-16.00 Uhr. Es war fünf vor neun. Diese
fünf Minuten würde ich gern warten. Ich linste durch das Schaufenster in den Laden,
entdeckte aber niemanden, ging zu meinem Rad zurück, sperrte es ab. Kurze Handykontrolle:
nein, keine Nachricht von Steve. Schien auch nicht mehr vonnöten zu sein.
Mit dem ersten
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