Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
schon kam die Erklärungsmaschinerie
ins Laufen. Typisch, der Koller verarscht uns mal wieder. Wenn er im Krankenhaus
war, dann nur, um ein paar Pflaster zu schnorren. Oder er hat einen seiner Saufkumpane
auf der Intensiv besucht.
»Schlimm?«, fragte Kommissar Greiner höflich. Da hielt er doch tatsächlich
eine von Christines Lieblingsglasfiguren in der Hand. Seine kräftigen Finger an
millimeterdünnem Glas – es war kaum zu ertragen. »Oder besteht noch Hoffnung, Herr
Koller?«
»Wie man’s nimmt. Könnten Sie vielleicht das Ding da wieder hinlegen?
Meine Frau bringt mich um, wenn es kaputt geht.«
»Das wollen wir natürlich nicht.« Jetzt drehte der Rottweiler die Figur
erst recht hin und her, um sie von allen Seiten zu begutachten.
»Und Sie bringt sie auch um. Sie hat einen schwarzen Gürtel im Polizistencatchen.«
»Woher kennen Sie Herrn Bremer?«, polterte Fischer.
Wenn es eine Steigerung zu unwirsch gab, hatte mein Kommissar sie gerade erreicht.
»Welchen Bremer?«
»Fred Bremer, den Betreiber des Schlossblick-Imbisses.«
»Woher ich den kenne? Herrje, Sie stellen Fragen … Solche Leute kennt
man eben. Werde da mal was gefuttert haben, dabei kommt man halt ins Gespräch.«
»Und Kurt Schneider, Ihr Trinkgenosse aus dem Englischen Jäger?«
»Kurti? Na, mit dem bin ich schon ewig befreundet. Äonen! Warum fragen
Sie?«
»Wie kommt der Mann eigentlich zu seinem Spitznamen Tischfußball-Kurt?«
Dieser verdammte Greiner spielte noch immer mit Christines Glaspferdchen!
»Weil er mal Europameister im Tischkicker war, deshalb. Lassen Sie
jetzt endlich die Finger von dem Zeug? Das ist saumäßig zerbrechlich!«
»Genau so wirkt es auch. Willst du mal sehen, Chris? Und wie leicht
es ist!« Das Pferdchen glitt von der einen Polizistenpranke in die nächste, wobei
es fast zu Boden fiel. Im letzten Moment bekam Sorgwitz es zu fassen. Ich war einem
Herzinfarkt nahe.
»Und es ist doch ein Feuerwürstchen«, beharrte der Blonde, mit dem
Fingerknöchel gegen Max Ernst klopfend. »Einen wahnsinnig guten Geschmack hat der
Herr Koller, einen geradezu exzeptionellen.«
»O ja, den hat er«, nickte ich. »Und deshalb macht es gar keinen Spaß,
allein zu trinken. Bedienen Sie sich, bevor Ihre Flaschen die Flucht ergreifen.«
»Schneider und Bremer«, kam es wieder von Fischers Seite, »haben am
Dienstagabend die Kollegen alarmiert. Um exakt 23.57 Uhr. Gestorben aber ist das
Opfer geraume Zeit vorher. Gegen elf, meinen unsere Fachleute. Finden Sie das nicht
seltsam, Herr Koller?«
»Klar ist es seltsam, wenn Leute sterben. Vor allem aber ist es tragisch.«
»Die beiden Herren behaupten, sie hätten auf den Schreck erst noch
ein Bier zu sich nehmen müssen.«
»Oder zwei«, ergänzte Greiner, nahm Platz und beförderte den Kronkorken
seiner Flasche in eine Zimmerecke.
»Oder zwei. Trotzdem ungewöhnlich.«
»Ungewöhnlich?« Ich schüttelte den Kopf. »Herr Fischer, es gab Fälle,
da mussten Leichenentdecker eine komplette Bierkiste niedermachen, bevor sie zu
einem klaren Gedanken fähig waren.«
»Hoppla!«, machte es hinter mir, gefolgt von einem Aufprall. Ich schnellte
hoch und fuhr herum. Da stand der Kampfhund mit gebleckten Zähnen, und zu seinen
Füßen lag – ein Plastikmännchen. Nach Jahren der Isolation in einem Automaten hatte
ich es erlöst, damit es von nun an zwischen meinen Büchern verstaubte. Christines
Glaspferd stand längst wieder an seinem Platz.
»Alles klar, Herr Koller?«, grinste Sorgwitz.
Ich setzte mich. Jetzt bloß nicht zittern, Max! Immer cool bleiben!
Sie wollen doch nur, dass du aus der Rolle fällst. Da, Fischer räusperte sich schon
wieder. Seine nächste Frage würde kommen, eine Frage zu Fred, zu Schallmo, vielleicht
zu Fikret und Inez. Und dann das Handy! Wie viel wussten diese Bastarde? Aus lauter
Verzweiflung hakte sich mein Blick an Greiners Flasche fest. Die aber wurde im selben
Moment nach oben geführt, zu den schmalen Polizistenlippen, und dann in die Waagerechte
gekippt. Greiner trank. Er trank, bis der Flaschenboden zur Decke zeigte. Anschließend
stellte er sie ab und wischte sich über den Mund. Wortlos und irgendwie zufrieden.
»Wenn einer Beweismittel unterschlägt«, sagte Kommissar Fischer, »macht
er sich strafbar. Auch wenn er sie später zurückbringt.«
»Noch ein Bier?«, fragte ich Greiner.
»Danke, da steht ja noch eins.«
»Das gehört Ihrem …«
»Ich trinke nur Weizenbier«, tönte Sorgwitz. »Ach, übrigens, ich müsste
dringend
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