Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Rundumbehandlung im Kaiserschnitt gönnen.
»Es ist immer noch ein Unterschied zwischen Kriseln
und Scheiden«, stellte die erste Kundin fest und zog ihre Brille aus.
»Da haben Sie recht, Frau Johannsen«, sagte die Jungfrisörin mit dem
Schrägschnitt und nahm die Brille in Empfang. Bevor sie sie zurückgab, steckte sie
die Bügel in dünne Schutzhüllen, damit die Kundin während des Schnitts ihre Lektüre
nicht zu unterbrechen brauchte. So jedenfalls meine Vermutung.
Eine Schere aber kam gar nicht erst zum Einsatz. Komisch, ich dachte,
wir seien hier beim Frisör. Stattdessen trug die Blonde mit einem Pinsel weiße Farbmasse
auf die Kopfhaut von Frau Johannsen auf, wobei sie einen Haarbüschel nach dem anderen
auf die Seite legte, um den nächsten Schlag Pampe anzubringen. Wenigstens nebenan
wurde geschnippelt. Zack, zack, das ging ganz zügig und ohne Aufwand; schon war
Frau Kaiser einmal um den mausgrauen Kopf der schnaufenden Kundin herum.
»Krisen gibt es viele«, sagte Frau Johannsen. »Aber scheiden lassen
kann man sich nur einmal.«
»Völlig richtig«, trällerte die Blonde. »Und wie geht es zu Hause?«
Ich sah auf die Uhr. So allmählich durfte sich Gizem ihrem wartenden
Kunden widmen, fand ich. Wobei es mir im Kaiserschnitt nicht langweilig wurde. Frau
Kaiser, die immer mal wieder einen kritischen Blick auf die Arbeit ihrer Angestellten
warf, ging nun in die Vollen. Erst wurde das Haar der Dicken mit etwas Wasser besprüht,
dann kamen die Utensilien, die Gizem gebracht hatte, zum Einsatz. Mit dem Kamm legte
die Frisörin einzelne Strähnen auf eine Art Zigarettenpapier und schmierte sie mit
der bläulich-weißen Paste ein. Das Papier wurde gefaltet, nach vorn geklappt, anschließend
war die nächste Strähne an der Reihe. Im Laufe der Zeit bildeten die übereinander
gelegten Papierstücke ein hübsches Ziehharmonikamuster. Das alles ging der Chefin
flott von der Hand, wobei sie gleichzeitig mit beiden Kundinnen plaudern, ihre Mitarbeiterin
kontrollieren sowie ab und zu einen Blick über die Schulter in Richtung Nebenraum
werfen konnte.
»Stell mal die Musik ein bisschen leiser, Lena!«, rief sie. »Was die
samstags immer bringen!«
Musik? Tatsächlich, im Hintergrund lief schon die ganze Zeit das Radio.
War mir gar nicht aufgefallen. Erst jetzt, wo das Geplätscher heruntergedimmt wurde.
Trotz dieser Unterbrechung und der Schnelligkeit ihrer Chefin war Schrägfrisur-Lena
als Erste mit ihrer Pampenschlacht fertig. Einen Kopf ringsum einzukleistern war
ja auch bedeutend einfacher, wenn man sich nicht noch mit Papieren herumzuärgern
hatte. Sie versorgte ihre Kundin mit frischen Illustrierten und fuhr dann schweres
Geschütz auf: rollende Riesenkopfhörer auf einem Ständer, die sie hinter dem Frisörstuhl
platzierte.
»Ich stelle das Gerät auf 20 Minuten ein, Frau
Johannsen.«
Die Kundin nickte. Außer den beiden Ohrenklappen
gab es überkopf eine dritte, so dass die eingespachtelte Frau Johannsen annähernd
komplett von der Umwelt abgesondert war. Die Blonde tippte auf dem Gerät herum,
bis eine rote 20 aufleuchtete, dann schnappte sie sich ihr Rollwägelchen und fuhr
es nach hinten. Gleich darauf kam Gizem.
22
»Sie haben sich für die Kopfmassage entschieden?« Die Türkin hängte
mir ein grünes Tuch um und musterte meinen Hinterkopf.
»Was soll ich machen? Eigentlich hatte ich mir eine der Frisuren aus
dem Katalog dort hinten ausgeguckt, so eine mit viel Gel drin und Scheitel quer
über das Gesicht, aber irgendwie … Wissen Sie, die Haare dort und meine Haare –
das sind zwei verschiedene Dinge, fürchte ich.«
Immerhin, jetzt flog ein Lächeln über ihr Gesicht. »Sie glauben gar
nicht, was man heutzutage alles machen kann. Auch mit Haaren, wie Sie sie haben.
Wenn Sie möchten, geben wir Ihnen ein Shampoo auf Koffeinbasis mit, das fördert
den Haarwuchs.«
»Auf Koffeinbasis?« Meine Geheimratsecken begannen
zu kribbeln. »Dabei trinke ich schon Kaffee ohne Ende.«
»Ich schlage vor, ich korrigiere die Konturen im Nacken und hinter
den Ohren. Anschließend massieren wir. Einverstanden?«
»Einverstanden.« Gizem roch gut, und sie hatte eine angenehm tiefe
Stimme. Sie war ganz anders als Inez, die Halbspanierin, viel zarter gebaut, aber
nicht weniger ansehnlich. Ob sie mir die Haare schnitt, mich massierte oder mich
an den Ohrläppchen kraulte – egal. Hauptsache, sie tat etwas mit mir, und ich durfte
ihr im Spiegel dabei zusehen.
»Sind Sie zum ersten Mal bei uns?«,
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