Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
angeschnitten, versorgte sie mit
einer Tasse Kaffee und Geplapper. Ihre Chefin wies mir einen Platz in einer Sitzecke
an, die mit ihren Zeitschriftenstapeln an ein Wartezimmer erinnerte. Wie beim Zahnarzt,
ich sagte es ja schon. Mit dem Unterschied, dass man von hier aus sämtliche Frisörstühle
im Blick hatte.
»Wollen Sie auch einen Kaffee?«, fragte Frau Kaiser. »Oder ein Wasser?«
»Danke, nein.«
Die Ladentür ging. Die Chefin begab sich nach vorn, um die nächste
Kundin in Empfang zu nehmen. Schwer und unansehnlich, mit mausgrauem Strubbelhaar,
so kam die Neue hereingeschlurft und wurde lebhaft begrüßt. Lange nicht gesehen!
Wie die Zeit vergeht! Das Geschnatter der vier Damen summierte sich zu einem Dauerrauschen,
das sich ausblenden ließ wie ferner Straßenlärm. Mit anderen Worten: Ich hatte meine
Ruhe.
Aber wo war die junge Ak s ehir? Weiter hinten gab es eine Tür, die einen Spalt offen stand. Hier
schien jemand zu Gange zu sein; ich hörte schwache Arbeitsgeräusche und ab und zu
das Rauschen eines Wasserhahns. Nach einer Weile erhob ich mich, schlenderte zu
einem Regal, das sich näher an dem Nebenraum befand, und griff nach einem Katalog
mit Männerfrisuren. Während ich so tat, als interessierte ich mich für die Schnitte
der Saison, linste ich zur Tür hinüber. Tatsächlich, dort hantierte jemand mit Flaschen
und Schüsselchen, Tuben wurden schmatzend ausgedrückt, ihr Inhalt verrührt und gemixt.
Das reinste Chemielabor! Wenn es hier im Hasenleiser schon so zuging, welchen Aufwand
betrieben sie dann bei den Topmodels in Paris und New York? Ich würde es nie erfahren,
und ehrlich gesagt, war mir das ganz recht.
Dann ging die Tür auf, und Gizem Ak s ehir stand vor mir.
»Guten Morgen«, sagte sie und schenkte mir den Ansatz eines Lächelns.
Nein: die Ahnung eines Hauchs von Lächeln. Und selbst das war noch übertrieben.
In den Augen dieses Mädchens stand so viel Trauer, dass ich mir ganz schlecht vorkam.
Es schien mindestens drei Personen namens Gizem zu geben: den auf dem Foto posierenden
Azubi, die Türkin mit Kopftuch – und die junge Frau, der ich an diesem Morgen im
Kaiserschnitt begegnete. Ihr Tuch hatte sie abgelegt, die tiefschwarzen Haare waren
im Nacken flüchtig zusammengesteckt, und der einzige Schmuck, den sich Gizem erlaubte,
war ein Paar goldener Ohrringe. In ihrem schmalen Gesicht fiel die starke Mundpartie
auf. Und dann ihr Teint: Eine Frau wie Gizem musste dem ollen Karl May vor Augen
gestanden haben, als er von der bronzenen Haut seiner Edelindianer träumte. Dabei
kannte Old Shatterhand doch bloß ein paar Sächsinnen.
Indianer hin oder her, in diesem Moment war ich froh, Max Koller zu
sein und nicht Karl May. Denn Gizem Ak s ehir war die hübscheste Türkin, die ich jemals gesehen hatte. Man könnte
auch sagen: Sie war die erste Türkin, die ich attraktiv fand, aber das verrät mehr
über mich als über Türkinnen, und deshalb vergessen wir das gleich wieder.
Wichtig war etwas anderes: Schlagartig wurde mir klar, dass Gizem der
Schlüssel zum Fall Schallmo war. Sie hatte die SMS geschrieben. Sie hatte Schallmo
vom Kaiserschnitt aus angerufen, zweimal. Sie war in ihn verliebt gewesen.
Und deshalb jetzt so ernst.
Während sie an mir vorbeiging, blätterte ich recht auffällig in dem
Frisurenkatalog, damit sie ja nicht auf den Gedanken käme, ich beobachtete sie.
Auf einem Tablett trug sie ein Porzellanschälchen mit einer bläulich-weißen Paste,
dazu Pinsel und Kamm. Das Ergebnis ihres Laboraufenthalts. Sie stellte das Zeug
neben Frau Kaiser auf ein Rollwägelchen, in dessen Schubladen sich Bürsten, Klammern,
weitere Kämme und Pinsel stapelten, dazu Lockenwickler in den grellsten Farben und
Schaumstoffstäbe ohne erkennbare Funktion. Frau Kaiser raunte Gizem etwas zu, worauf
diese sich zu mir umdrehte und mir zunickte. Ihre Verwunderung hielt sich in Grenzen.
»Ich komme gleich zu Ihnen«, sagte sie auf dem Rückweg in den Nebenraum.
Ich nickte. Mensch, Mädchen, wegen mir musst du
dir kein Kundenlächeln abringen! Ohne gefällst du mir viel besser.
Seufzend nahm ich Platz. Herrgott, da hielt ich
immer noch das Magazin mit den gestylten Bübchen in der Hand. Weg damit! Lieber
Gala lesen wie das Tönnchen von Kundin dort, das selbst beim Umblättern der Seiten
ächzte. War Prinz Harrys Liebesglück vollkommen?, fragten wir uns synchron. Eifersuchtsdrama
wegen Pippa? Nichts gegen Harrys Schwägerin, aber seine königliche Oma sollte sich
mal eine
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