Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
die ihre Tochter
an ein Privatgymnasium schicken.« Ich machte mich so klein wie möglich. Welcher
Teufel hatte die Warburgs geritten, ausgerechnet heute Abend die Alte Köhlerei aufzusuchen?
Obwohl – die Frage war falsch gestellt. Wahrscheinlich speisten sie jedes Wochenende
hier oben, und wir waren es, das Exehepaar Koller/Markwart, dem der Teufel im Nacken
saß. Verfluchter Hochzeitstag! Wenn ich damals gewusst hätte, was ich mir mit meiner
Unterschrift alles einbrockte …
»Ich binde mir mal eben den Schuh«, flüsterte ich. Inez und ihre Eltern
ließen ihre Blicke durch das Restaurant schweifen. Ich nahm noch Christines Kopfschütteln
wahr, dann verschwand ich unter dem Tisch. Als ein Kellner kam, um die Fischteller
abzutragen, tauchte ich wieder auf. Die drei hatten an einem etwas entfernteren
Tisch Platz genommen. Inez wandte mir ihre Seite zu, ihre Mutter den Rücken. Direkten
Blickkontakt gab es nur mit dem Vater.
»Seit wann sind dir solche Begegnungen peinlich?«, fragte Christine.
»Früher hättest du sogar deinen Lateinlehrer mit Handschlag begrüßt.«
»Früher bin ich auch nicht über Gartenmauern geklettert, um die Tochter
des Hauses beim Freiluftsex zu erwischen.«
»Wie bitte?« Nun schaute sie doch konsterniert. »Lass uns zahlen, Max.
Sofort!«
»Warte.« Aus Flaschen, Gläsern, Speisekarten und der Tischrose errichtete
ich einen Schutzwall gegen die Blicke der Warburgs. »Wenn du noch etwas weiter nach
links rutschst, entdecken sie mich nicht. Außerdem war es kein richtiger Sex, nur
ein bisschen Petting.«
»Und auch keine richtige Mauer, sondern bloß Stacheldraht mit Selbstschussanlage?
Wirklich, Max, manchmal könnte ich dich …« Ein Seufzer beendete ihren Satz.
Der Rest unseres gemeinsamen Mahls verlief weitgehend ungestört. Wenn
man von meinen diversen Manövern mit dem Ziel, unentdeckt zu bleiben, einmal absieht.
Als der Nichtsnutz von Kellner Gläser und Rose wieder zurechtrücken wollte, bekam
er von mir eins auf die Finger. Und als Inez aufstand, um zur Toilette zu gehen,
war mein anderer Schnürsenkel dran. Hin und wieder kreuzte sich mein Blick mit dem
ihres Vaters. Ein Obersympathikus war das, genauso eckig wie sein Haus in der Scheffelstraße.
Quadratschädel mit Schablonenscheitel, der Mund ein Strich, kantig die Schultern,
die Bewegungen zackig. Seine Frau, die ihm gegenüber saß, machte einen auf Zappelliese,
rutschte ständig mit dem Po auf dem Stuhl herum, ansonsten sah ich von ihr nur die
dunklen Haare, die auf schmale Schultern fielen. Inez saß stumm dabei und blätterte
in der Speisekarte.
»Hübsches Mädchen«, meinte Christine. »Deswegen ist dir die Sache so
peinlich, was?«
Ich ignorierte ihre Bemerkung. Was mir peinlich ist, bestimme ich immer
noch selbst. Mich an meinem Hochzeitstag zusammen mit meiner Ex in einem Heidelberger
Edelschuppen erwischen zu lassen, war mir tausend Mal peinlicher als jede Begegnung
mit den Warburgs. Ein paar Dosenbier am Schlossblick hätten es doch auch getan,
oder? Wäre Inez dort aufgetaucht, dann garantiert ohne ihren Herrn Papa, den Eisenfresser.
Ich linste an Christines Rotweinflasche vorbei zum Tisch der Warburgs. Fräulein
Tochter stocherte im Salat herum. Von ihrem Wein hatte sie noch keinen Schluck getrunken.
Ihr Vater saß leicht vorgebeugt auf seinem Stuhl und beschrieb mit der Linken große
Kreise in der Luft. Dabei fixierte er seine Frau mit den Augen, nagelte sie regelrecht
fest auf ihrem Platz. Ab und zu schnellten seine Mundwinkel nach oben, dann schwappte
ein kaltes Gelächter zu uns herüber. Nur die Gabel in seiner rechten Hand, auf der
ein Stück Fleisch steckte, blieb ganz ruhig.
Komisch: Je länger ich das Stück Fleisch anstarrte, desto überzeugter
war ich, es handle sich um Menschenfleisch.
»Sehen doch ganz nett aus, die Leute dort«, sagte Christine mit unschuldigem
Wimpernschlag.
»Kannibalen sind das«, flüsterte ich. »Auf dem Königstuhl verschwinden
immer wieder Wanderer spurlos. Jetzt weiß ich, warum.«
Vor dem Dessert musste auch Christine mal für kleine Mädchen. Ja ja,
der Rotwein, der ins Freie drängt. Parfümumnebelt verließ sie den Tisch. Wenige
Augenblicke später saß Inez auf ihrem Platz.
»Sie hätte ich hier nicht erwartet«, sagte sie.
»Ich mich noch viel weniger«, murmelte ich.
Ihr Daumen zeigte zu den Toiletten. »Ist das Ihre Frau?«
»Hab keine Frau. Sind das deine Eltern?«
»Hab keine Eltern.« Sie lächelte schwach. »Im ersten Moment dachte
ich, Sie
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