Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
schüttelte den Kopf.
»Sagt dir der Name Nadja was?«
Dieselbe Reaktion.
»Eine meiner Kundinnen heißt Nadja«, warf Frau Kaiser ein. »Aber die
ist über 80 und stammt aus Sankt Petersburg. Passt das?«
»Eher nein.« Ich zog einen Zettel aus der Brieftasche, auf dem ich
Schallmos ›Chir. 015‹ notiert hatte, doch Gizem fiel nichts dazu ein. Mit meinem
Hinweis auf Ägypten und abgehalfterte Politiker konnte sie noch weniger anfangen.
Alles, was recht ist, Frau Kaiser, aber so clever scheint mir Ihr Azubi nun auch
wieder nicht zu sein.
»Gut«, sagte ich und klopfte mit dem Zeigefinger
ein paarmal gegen meine Tasse. »Wenn ich das alles zusammenfasse, bleibt für mich
eine zentrale Frage: ob du Fikret oder seinen Freunden den Mord an Thorsten Schallmo
zutraust. Ob es vielleicht sogar konkrete Hinweise darauf gibt.«
Sie wich meinem Blick aus. Natürlich, Fikret war ihr Bruder, außerdem
war er erst 14, auch wenn er sich wie ein mieser Halbstarker aufspielte – da brauchte
man kein Hellseher zu sein, um ihre Antwort vorauszuahnen.
»Nein«, sagte sie schließlich. »Das kann ich mir nicht vorstellen.
Ein Streit, der blutig endet, eine Prügelei, die außer Kontrolle gerät – das schon.
Aber ein Mord aus dem Hinterhalt?« Weiterreden konnte sie nicht. Sie presste ihre
Faust gegen die Lippen, die zu zittern begannen. Dann kamen die Tränen.
»Sorry«, murmelte ich.
Das war vielleicht besser als nichts, aber weit entfernt vom Trost,
den eine Frau Kaiser bieten konnte. Sie beugte sich zu Gizem hinüber und drückte
sie fest an ihren großen, weichen Busen. Dort weinte das Mädchen still vor sich
hin. Ich sah auf mein angegessenes Kuchenstück, das mir plötzlich nicht mehr schmeckte.
Schade, dass ich nicht den Busen von Frau Kaiser hatte.
Und dann wurde ich wütend. Wütend auf diesen Idioten von Schallmo.
Was hatte der nur alles angerichtet! Heulendes Elend pflasterte seinen Weg: Gizem,
vielleicht Nadja, Inez. Ein schiefes Bild, ich weiß, denn von Geheule konnte bei
der robusten Spanierin keine Rede sein. Jeder trauerte halt auf seine Weise. Siehe
Daniel, der den starken Mann markierte und doch nur nach Papas Anwalt rief. Ehrlich,
Leute, dieser schwanzgesteuerte Ethiklehrer hatte sich seine Abreibung durch Fikret
& Co. redlich verdient.
So. Das musste doch mal gesagt werden! Auch wenn es nicht besonders
intelligent war.
Aber Mord?
»Ich halte das auch für ausgeschlossen«, erklärte die Frisörin, Gizems
Kopf tätschelnd. »Einen Menschen kaltblütig und hinterrücks erschießen? Von den
Leuten, die ich kenne, und ich kenne fast jeden im Hasenleiser, traue ich das keinem
zu. Egal, ob Türke oder Deutscher oder sonst was. Allerhöchstens im Affekt. Aber
danach sieht es ja nicht aus, oder?«
Ich zuckte die Achseln. »Für eine Affekttat gibt es derzeit keine Anzeichen.«
Einen Schluck Kaffee nehmen, nachdenken. »Genau genommen, tappen wir total im Dunkeln.
Die Polizei wahrscheinlich genauso wie ich. Motive gibt es genug; jeder Zweite aus
Schallmos Umfeld hatte irgendwann mal Grund, sauer auf ihn zu sein. Tut mir leid,
das zu sagen, Gizem, aber sein Frauenverschleiß war überdurchschnittlich.«
»Na und?«, erwiderte sie trotzig und befreite sich aus dem Trostgriff
ihrer Chefin. Wenigstens heulte sie jetzt nicht mehr.
»Schon recht. Mir geht es nur um ein mögliches Tatmotiv. Und da wird
man bei vielen Leuten fündig. Kannten Sie ihn eigentlich, Frau Kaiser?«
»Nein. Nur aus Erzählungen.«
»Schön.« Ich nahm einen weiteren Schluck Kaffee, aber im Gegensatz
zu ihm ließ sich die Frage, die mir auf der Zunge lag, nicht so einfach hinunterspülen.
Man konnte sie gar nicht behutsam genug stellen, diese Frage: Wie steht es eigentlich
mit dir, Gizem? Warst du wütend auf Thorsten? Nee, nicht traurig, nicht enttäuscht
oder verletzt. Sondern wütend. Sauer, eifersüchtig, voller Rachegedanken. So kannst
du mich nicht hängen lassen! War das bloß Verzweiflung oder schon eine Drohung?
Verstohlen beobachtete ich das Mädchen. Mein Gott, nun schau mich nicht
so jämmerlich an! Okay, okay, ich werde die Frage nicht stellen. Ich glaube dir
und deinem Bernsteinblick. Du wirst mir schon nichts vorspielen. Und falls doch,
wird es später heißen, der Koller ist auf die geheimnisvollsten Augen von ganz Heidelberg
reingefallen.
»Apropos«, sagte ich. »Was meintest du mit dem Wort Geheimnis am Ende
deiner SMS? Euer beider Geheimnis, oder was?«
Sie errötete leicht. »Das ist mein Name. Gizem bedeutet
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