Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
seien wegen mir hier. Wenn Sie von meinem Telefonat mit Thorsten wussten,
konnten Sie auch von unserer Reservierung in der Alten Köhlerei erfahren haben.
Aber es scheint wohl doch eher Zufall zu sein.«
»Wer glaubt schon an Zufall? Du?«
»Sind Sie weitergekommen bei Ihren Ermittlungen? Haben Sie mich immer
noch in Verdacht?«
Unwillkürlich sah ich zu ihren Eltern hinüber. Papa Warburg glotzte
mich an wie einen Straßenköter, den seine Tochter mit nach Hause nehmen will. Die
Mama beachtete uns nicht, sondern spielte auf ihrem iPhone herum.
»Ich habe dich nicht in Verdacht. Ich befrage Leute und ziehe meine
Schlüsse aus dem, was sie mir sagen. Und aus dem, was sie mir nicht sagen.«
Ihre Miene verdüsterte sich. »Es ist furchtbar, was mit Thorsten passiert
ist. Sie wissen gar nicht, wie furchtbar. Aber ich habe nichts damit zu tun. Und
Daniel auch nicht, verstehen Sie? Er ist doch der Leidtragende bei der ganzen Sache.«
Ich schwieg. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns noch Stunden
unterhalten können, Inez und ich. Auch wenn keiner dem anderen die Wahrheit sagte.
Aber da war ja noch meine Mitbewohnerin und Exgattin, die selten länger als drei
Minuten auf dem stillen Örtchen verbrachte.
»Einen schönen Abend noch«, sagte Inez, die anscheinend Gedanken lesen
konnte. »Und bitte klären Sie den Fall so schnell wie möglich.«
Damit ging sie. In der Tür, die zu den Toiletten führte, stand Christine
und sah ihr mit erhobenen Brauen nach. Papa Warburg lehnte sich auf seinem Stuhl
zurück, dass die Spitze seiner Krawatte bis über den Hosenbund rutschte. Inez setzte
sich. An diesem Abend würdigte sie uns keines Blickes mehr.
27
Am Ende gelang es mir doch noch, Christine zu verärgern. Nicht in der
Alten Köhlerei, da spielte ich den Exmann mit Bravour, meckerte nicht, kleckerte
nicht und hätte dem Kellner fast ein Trinkgeld gegeben. Ich bezahlte sogar das Taxi,
das uns zurück in die Stadt brachte. Aber als ich Christine beim Aussteigen erklärte,
ich hätte noch etwas vor, da wurde sie sauer.
»Jetzt? Heute? An unserem Hochzeitstag? Das ist nicht dein Ernst!«
»Hör doch erst mal zu!«
Sie schäumte. »Das glaube ich einfach nicht, Max!«
»Dann lass es halt.« Diskussion beendet. Wenn ich
ihr nicht einmal meine Gründe darlegen durfte, warum ich dem Patienten von Zimmer
015 heute noch auf die Schliche kommen musste, konnten wir uns das Gespräch schenken.
Die Taxitüren knallten, meine Ex stolzierte wutschnaubend davon, ich holte mein
Fahrrad aus dem Hof und fuhr los.
Ebenfalls mit Wut im Bauch. Frauen! Sonst wollten
sie alles bereden und kleinquatschen, aber wenn es um echte Argumente ging, kniffen
sie. Morgen war der Kerl womöglich schon wieder in Kairo. Und dann stand ich da
mit meinem blöden Hochzeitstag. Christine und ich sollten uns endlich korrekt trennen,
um von nun an unseren Scheidungstag feiern zu können. So was schweißt zusammen.
»Ist doch wahr, ey!«, rief ich dem nächstbesten
Auto zu, das mich überholte. Es war ein Streifenwagen, ausgerechnet. Die Insassen
schauten ein bisschen misstrauisch, aber ich fuhr keine Schlangenlinien, und mein
Licht funktionierte, also gab es keinen Anlass, mich von meiner Mission abzubringen.
Sollten sie lieber ein paar Segways einbuchten.
Hinter der Ernst-Walz-Brücke wechselte ich auf
den Fahrradweg am Neckar, der mich zum Südende der Chirurgie brachte. Dort versperrte
ein hoher Zaun den Zugang. Seitlich aber führte ein Fußpfad im Schatten einer dichten
Hecke um das Klinikgelände herum, und irgendwann hörte diese Hecke einfach auf.
Bestens. So ersparte ich mir eine Kletterpartie wie bei den Warburgs. Ich stellte
mein Rad etwas abseits unter einen Baum und wartete. Erst mal die Lage sondieren.
Meine Uhr zeigte halb zwölf. Der Fahrradweg lag verlassen da, im Hauptgebäude der
Chirurgie waren noch viele Fenster hell erleuchtet, insgesamt aber herrschte Stille.
Dort, wo die Hecke endete, erstreckte sich eine Wiese bis zu dem flachen Anbau,
der die Privatstation beherbergte. Es war geradezu lächerlich einfach, sich von
hier aus den Krankenzimmern zu nähern.
Nummer 015 musste dasjenige ganz außen sein, mit Blick zum Neckar.
Zu jedem Zimmer gehörte eine kleine Terrasse, die von der daneben liegenden durch
eine Wand aus hölzernem Flechtwerk getrennt war. Kniehohes Grünzeug schloss die
Terrassen zur Wiese hin ab. Die Zimmer selbst besaßen Glaswände – Privatstation
halt –, doch überall waren Rollos
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