Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
der Hauptstraße, und wenn ich nicht wüsste, dass sie eine heimliche Affäre mit dem Bürgermeister hat, würde ich glauben, sie hätte ein Techtelmechtel mit dem Vertreter für Dauerwellflüssigkeit. Ob Betonlocken nun modern sind oder nicht, das spielt im Ort keine Rolle, denn Moniques Salon Scharfe Schere ist hier trend- und tonangebend, und was in ist, das entscheidet die Chefin noch immer selbst. Da Monique sich keine Angestellten leistet, stammen alle Frisuren der sie umringenden Damen aus ihrer Hand. Sie ist keine große Freundin der Vielfalt oder handwerklich nicht versiert genug, einen zweiten Schnitt oder einen anderen Farbton als Blond ins Programm aufzunehmen, deshalb sieht man sich hier ähnlich. Das wiederum stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Einmal war ich auch Kundin von Monique. Wie ich danach aussah, möchte ich an dieser Stelle verschweigen, das ist mir immer noch peinlich. Vier Wochen lang trug ich Pudelmütze, obwohl wir einen recht warmen Sommer hatten, ich täuschte eine Mittelohrentzündung vor. Seitdem lasse ich mir die Haare von Brigitte schneiden. Die bezieht ihre Kenntnisse zwar aus einem Buch über die Pflege und den Rückschnitt von Weinstöcken, aber das Ergebnis ist allemal besser als Moniques Höchstleistung.
Monique und ihr Kaffeekränzchennetzwerk sind stets über alles informiert. Sie wissen, wer ein neues Auto fährt und warum und was mit dem alten passiert ist. Sie kennen die geheimen Vorlieben jedes Junggesellen in ihrem Einzugsgebiet und wahrscheinlich auch aller anderen Männer unter sechzig. Und bald kennen sie auch alle Kniffe der perfekten Tischdekoration, denn davon handelt einer der beiden Vorträge, die heute beim Landfrauenverein auf dem Programm stehen. Das Thema des anderen ist Die Krise als Chance. Man kann nicht sagen, dass der Verein einseitig orientiert wäre. Es ist wirklich für jeden etwas dabei. Nächsten Monat gibt es Profitipps für die Reinigung der Haut und ein Referat über Genforschung und Alzheimer. Wie wäre es eigentlich mit Rezepte für ein romantisches Candle-Light-Dinner in Kombination mit Wieder Single – auch alleine glücklich sein? Oder etwas Skigymnastik kombiniert mit neuesten Erkenntnissen aus der Rheumaforschung?
Meine Mutter reicht mir eine Serviette, die ich mir auf den Schoß lege, in der Erwartung, dass gleich jemand etwas zu Essen serviert. Als sie das sieht, reißt sie den gestärkten Stoff von meinen Oberschenkeln und fuchtelt nach vorne, bis ich begreife: Ich soll der Demonstration der Referentin folgen und die Serviette zu einem Schwan falten. Ich gebe mir Mühe, beschwere mich aber gleichzeitig bei meiner Mutter, die mir versprochen hatte, dass hier gekocht würde und man alles direkt aufessen dürfe. Aber sie war wohl im Programmplan in der Zeile verrutscht, Leckerer Kompott aus Fallobst ist erst in zwei Monaten dran.
Weil ich mich nicht richtig konzentriere, sieht mein Schwan aus wie ein ausgekochtes Suppenhuhn. Monique und ihre Freundinnen grinsen hämisch zu mir rüber.
»Du könntest ruhig mal zurücklächeln«, zischt meine Mutter, also entblöße ich kurz meine Zähne in Richtung Denver Clan und widme mich dann schnell der nächsten Übung zu: dem Fächer. »Das ist genau das Richtige, wenn man zwölf oder mehr Gäste hat«, erläutert die fingerfertige Dozentin, denn das sei ganz schnell zu falten. Ich stelle mit vor, ich hätte zwölf oder mehr Gäste. Wenn man sich mit jedem unterhalten will, bleiben fünf Minuten pro Gast und Stunde. Bei drei Stunden Abendgesellschaft also eine Viertelstunde. Mit welchen zwölf Menschen würde ich mich gerne eine Viertelstunde lang unterhalten? So viele fallen mir auf Anhieb gar nicht ein. Vielleicht bleibt mir aber netto auch weniger Kommunikationszeit, denn als Gastgeberin muss ich ja gewisse Serviceleistungen erbringen, die auch wieder Zeit in Anspruch nehmen. Ich müsste zum Beispiel das Essen servieren. Was kocht man denn für zwölf Leute? Erbsensuppe? Wirkt dazu eine gefaltete Serviette nicht etwas überkandidelt? Ich komme nicht dazu, diese Fragen mit fachkundiger Hilfe zu lösen, da die Dozentin ihre Vorführung beendet hat.
»Wenn du erst mal im neuen Haus wohnst, kannst du auch mal ein paar Leute einladen«, freut sich meine Mutter. »Ich helfe dir dann auch bei der Dekoration.«
Ich lächle bei der Vorstellung, wie meine Mutter enthusiastisch Servietten zu Seesternen formt und horizontales Ikebana auf ihrem ausrangierten Ausziehtisch drapiert, der dann bei Heiner und
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