Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
nachprüfbar: Heiner liest nur den Sportteil und seine Eltern waren auf einem anderen Kontinent. Und wenn Mutti Lust dazu hat, kann sie einem alles glaubhaft machen. Sogar eine Geranien-Grippe. Am 1. April hat sie mal mit einem gefakten »Hallo, hier ist ihre Telefongesellschaft! Ihr Gebührenzähler läuft und läuft und wir können ihn nicht abstellen, da muss ein Defekt ihrerseits vorliegen«-Anruf eine Freundin dazu gebracht, ihre Telefonleitung mit einer Schere durchzuschneiden. Ich muss sie gleich mal anrufen und mich bedanken.
Doch da klingelt schon das Telefon. Heiner ist schneller als ich. Er sagt nur kurz: »Ich komme«, legt auf und sprintet mit einem »Feuerwehrübung, tschüss!« die Treppe runter und aus dem Haus. Im frischen Hemd. Viel Spaß.
Meine Mutter hält mir am Telefon einen längeren Monolog über den Feuerteufel, der zur Zeit »die Gegend unsicher macht«, wie sie behauptet. Dass die beiden Brände, die es in der Gemeinde in den vergangenen beiden Monaten gab, mutwillig gelegt wurden, ist eine Theorie, die sie mit dem Lokalblatt teilt. Eine heiße Spur hat sie allerdings auch nicht – obwohl ja »heiß«, wie sie noch mal betont, in diesem Fall gut passen würde. Obwohl bislang nur leerstehende, verfallene Scheunen betroffen waren, ist sie in großer Sorge um ihr eigenes und alle anderen Häuser des Dorfes. Ich will gerade zu einem Beruhigungsversuch ansetzen, da leitet sie vom Thema »brennende Häuser« auf das Thema »brennendes Interesse daran, ein Haus mit auszusuchen« über und verpflichtet mich zum Besuch einer Fertighaus-Mustersiedlung morgen Vormittag: »Morgen ist Sonnabend, da geht Heiner ja immer Fußballspielen«, weiß sie, und: »Männer kann man bei solchen wichtigen Vorentscheidungen nicht brauchen. Denen präsentiert man am besten eine kleine Auswahl in Frage kommender Objekte. Also höchstens zwei.« Sagt meine Mutter.
***
Samstag, 7. Mai
Heiner sagt: »Jaja, mach nur.« Hauptsache Haus, der Rest ist ihm egal. Möglicherweise ist ihm auch alles egal, oder er hat gar nicht zugehört. Ich könnte auch allein frühstücken, das würde keinen großen Unterschied machen. Wenigstens müsste ich danach nur ein Gedeck abräumen und der Fußboden wäre nicht so krümelig.
Heiner hält den von ihm so geliebten Sportteil der Zeitung sehr hoch, so hoch, dass ich ihm nicht ins Gesicht sehen kann. Essen kann ich ihn auch nicht sehen, aber das ist auch besser so. Manche Leute haben ja getrennte Schlafzimmer. Ich wäre für getrennte Esszimmer.
»Du musst dich nur noch kurz überbürsten, dann können wir los«, sagt meine Mutter zur Begrüßung. Das sagt sie immer. Bürsten und kämmen nimmt in ihrer Welt einen wichtigen Stellenwert ein. Ich bürste mich nie. Aus Gründen des Generationenkonflikts und überhaupt. Ich habe noch nicht mal eine Bürste. Gebürstete Haare sehen immer strohig aus, sind elektrisch aufgeladen, knistern unangenehm und fliegen seltsam umher. Bürsten beraubt Haare jeglicher Struktur. Bürsten assoziiere ich mit Monique. Bürsten sind böse. Ich würde lieber in Domestos baden, mit den Zillertaler Schürzenjägern in Urlaub fahren oder die Namen aller in Europa beheimateten Insekten auswendig lernen, als mir die Haare zu bürsten.
Deshalb ignoriere ich die Aufforderung meiner Mutter wie immer - und steige in ihren Opel Corsa. Das schönste Auto der Welt, es fährt auch am besten, jedenfalls besser, als alle anderen Autos, die je produziert wurden, findet Mutti, mit Ausnahme des Modells, dass sie sich in zwei Jahren kaufen wird. Denn sie kauft sich spätestens alle vier Jahre ein neues Auto. Immer einen Opel – denn schließlich gibt es im Dorf die Opel-Vertretung von Heiners Eltern. Einen anderen Wagen zu wählen könnte deren Stolz verletzen, so etwas wie Blutrache auslösen, oder schlimmer: gesellschaftliche Degradierung. Heiner und ich würden dann zu Romeo und Julia.
Dieses rosa Ding im Handschuhfach – die Barbie-Version einer Reisebürste – übersehe ich, und versuche stattdessen, mich seelisch auf die Besichtigung vorzubereiten. Musterhaus-Siedlungen, diese in Stein – oder besser gesagt: Pressholzplatten? – gemeißelten Versprechen eines vorhersehbaren, unaufgeregten, praktischen Lebens. Meines Lebens. Wirklich? Naja, mal gucken.
Ein Haus kaufen ist ja ein bisschen was anderes als Klamotten kaufen. Aber wenn man das vergleicht, dann ist ein Haus aus der Musterhaussiedlung wohl eher eins von H&M. Oder nein: von C&A. Jedenfalls nicht von
Weitere Kostenlose Bücher