Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Bar und warte, was passiert. Das läuft ja schon ganz gut mit dem Amüsieren. Wer sagt denn, dass man unbedingt gute Gespräche braucht? Bisschen Lärm und Rauch und ich weiß nicht was reicht vielleicht auch. Ich trinke Sekt auf Eis, weil mir das von allen alkoholischen Getränken noch am wenigsten alkoholisch vorkommt, und erschrecke ein wenig über den Preis. Wenn das Leben in der Stadt so teuer ist, bin ich nach diesem Abend völlig ruiniert. Plötzlich komme ich mir fremd vor. Als hätte ich mich eingeschlichen. Eine Undercoveragentin ohne Lizenz für irgendetwas. Sieht man mir an, dass ich eigentlich nicht hierher gehöre, oder ist die Kittelschürze eine perfekte Tarnung? Ich habe auch noch immer keine Idee, wie ich wieder Geld verdienen könnte. Aber ist das etwas, womit ich mich heute auseinandersetzen wollte? Nein!
Und da kommt auch schon der Sänger und spricht mich an.
»Du warst in der ersten Reihe, ich habe dich gesehen«, stellt er trocken fest.
»Ich habe dich auch gesehen«, antworte ich.
»Und?«, fragt er. Er möchte ein Kompliment. Er möchte ganz dringend ein Kompliment von mir hören.
»Ja,« sage ich zögernd, »war ganz gut.«
»Ha! Ganz gut?«, lacht er mit einem leichten Anflug von Arroganz, um diese Beleidigung wegzustecken. »Wir waren fett! Wir waren so gut wie noch nie! Wir haben das Haus gerockt! Das Publikum hat Begeisterung aus allen Poren geschwitzt! Du doch auch!«
»Kann schon sein«, räume ich ein. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. So abweisend war ich schon lange nicht mehr. Doch das scheint ihn zu reizen. Er bestellt uns zwei Tequila. Wenigstens keinen Eierlikör. Und dann noch zwei.
»Ich heiße Kilowatt«, stellt er sich vor, als wir bei unserem dritten Tequila sind.
Armer Junge, denke ich, was sich seine Eltern wohl dabei gedacht haben. Bestimmt sind sie Inhaber eines Elektrogeräteladens und wollen, dass der Sohn eines Tages den Familienbetrieb übernimmt. Vielleicht ist das aber auch gar nicht sein richtiger Name, sondern nur ein Künstlername? Ich kenne mich ja in der Musikerszene nicht so aus. Eigentlich kenne ich mich nirgendwo aus.
»Silke«, antworte ich. »Ich heiße Silke.« Falls ihn das interessiert.
Das tut es. Er will sofort mit mir Brüderschaft trinken. Ziemlich altmodischer Brauch. Das kenne ich vom Dorf, das ist da nichts weiter als ein Vorwand, um den anderen zu küssen. Scheint in der Stadt auch nicht anders zu sein: Kilowatt bohrt seine Tequilazunge zielsicher in meinen Mund. Er hat Übung.
Oha!
Dann sagt er: »Ich muss mal pissen. Bleib da!« und geht weg. O nein, der redet wie Heiner. Das hat mir ja gerade noch gefehlt! Dafür ist er wahrscheinlich nicht schwul. Immerhin.
Während ich auf Kilowatts Rückkehr warte, kommt Sandra zu mir. »Das ist der heißeste Typ der Szene – und du hast ihn dir geschnappt!«, sagt sie bewundernd, aber auch mit einem leichten Anflug Eifersucht.
»Ach?«, antworte ich verwundert. »Wenn das schon der heißeste Typ ist, dann ist das um die ganze Szene wohl nicht so doll bestellt.«
»Tu nicht so«, grinst sie mich an. »Ich muss jetzt wohl mit dem Gitarristen vorlieb nehmen.« Zielstrebig steuert sie auf die zweitbeste männliche Trophäe los. Das ist meine Lektion im subkulturellen Punktesystem: Sänger sind besser als Gitarristen. Das Stadtleben ist ganz schön seltsam.
Kilowatt, der Hauptgewinn, kommt wieder und ordert mehr Tequila. Obwohl ich inzwischen zum zweiten Mal in zwei Tagen ziemlich angeheitert bin, läuft die Konversation zwischen uns schleppend. Kilowatt faselt etwas von der »ökonomischen Brutalität des Neokapitalismus« oder so ähnlich. Wehmütig denke ich an Herrn Wesseltöft. Wie gut wir uns verstanden haben! Wie lustig der Abend mit ihm war. Was für ein toller ... Freund er wäre. Aber ich muss nach vorne schauen: Vor mir steht Kilowatt und schlägt einen Spaziergang vor.
»Klar, warum nicht.«
Während wir den Club verlassen, legt er kurz die Hand in meinen Nacken, als wäre ich ein kleines Häschen, das in seinen Stall getragen werden muss. Der Griff kommt mir bekannt vor: Das hat Heiner am Anfang auch immer so gemacht. Ich bemerke, wie mich andere Frauen neidisch ansehen. Tja, Hauptgewinn. Hätten sie wohl auch gerne gehabt. Schade, dass ich mir so überhaupt nichts daraus mache. Eigentlich. Obwohl ... Ich schwanke versuchsweise etwas gegen ihn und lege dabei ausgesprochen zielsicher meinen Arm um seine Hüfte. Schmal. Fest. Der Arm, gegen den ich mich kurz drücke
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