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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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hingehauchten Küssen auf die Wange. Sie sieht, obwohl sie angeblich die letzte Nacht durchgemacht hat, aus wie frisch aus einer Zeitschrift ausgeschnitten. Das kann aber auch an dem gekonnten Lidstrich und dem eindrucksvoll lila-dunkelrot changierendem Lippenstift liegen. Auch sie trägt eine Art geblümtes Kittelschürzenkleid über einer Jeans, dazu genau die Holzlatschen, mit denen meine Mutter von den späten siebziger Jahren bis zur Mitte der Achtziger durch die Gegend geklappert ist. Von der Decke hängen Kabel herunter.
    »Ich würde vorschlagen, wir chillen noch ein bisschen, bevor wir nachher in den Tanzsaal gehen. Dort spielt eine sehr vielversprechende Band.« Sandra kennt sich aus, vor allem im Nachtleben.
    Ich stelle meine Tüten in der Ecke ihres mit Linoleum ausgelegten Wohnzimmers ab. Sandra sieht sie etwas irritiert an.
    »Du willst aber nicht hier einziehen, oder?«, fragt sie vorsichtig.
    »Ich würde mich gerne erst mal setzen.«
    Sie weist mir einen Platz auf einem der großen Sitzsäcke zu, die um einen nierenförmigen Tisch arrangiert sind, und sagt: »Okay, dann erzähl mal, was mir nun doch die Ehre deines Besuchs verschafft. Und warum du mit großem Gepäck reist.«
    »Wenn es etwas gibt, was ich im Moment nicht wirklich möchte, ist das über mich reden«, sage ich missmutig. Sandra wirft mir einen prüfenden Blick zu. Dann zuckt sie mit den Schultern. »Okay. Setzt dich. Entspann dich. Ich hol uns erst mal schnell einen Galao.«
    Was bitte?
    Die Wohnungstür fällt ins Schloss. Ich fühle mich seht verlassen, aber nach ein paar Minuten ist Sandra schon wieder da und drückt mir einen von zwei Pappbechern in die Hand. Der Galao ist ein Milchkaffee und schmeckt überraschend gut.
    »Kocht man in der Stadt seinen Kaffee nicht mehr selbst?«
    »Nö«, sagt Sandra, »wieso auch? Gibt es doch überall zu kaufen. Außerdem ist das nicht nur irgendein Kaffee. Bis letztes Jahr haben wir alle Latte Macchiato getrunken. Und seit die Portugiesen die Coffee-to-go-Szene übernommen haben eben Galao.«
    Mir ist das Stadtleben jetzt schon zu kompliziert.
    Der Galao macht Sandra wach und mich müde, also redet sie in einer Tour, von ihrem Studium, ihrem genialen Nebenjob (irgendetwas mit Computem, einer von diesen Jobs, die es auf dem Dorf nicht gibt), ihren Kollegen, den tollen Schnäppchen, die sie neulich in einem Designerlagerverkauf erstanden hat und lauter Dingen, die mich nicht interessieren. Ich lasse mir das aber nicht anmerken, schließlich habe ich ja klar gemacht, dass ich nicht über mich reden will, und sage höflich »Ach ja« und »Nein, wirklich«. Im Hintergrund blubbern komische Geräusche, die ein wenig nach verkalkter Kaffeemaschine (kann ja gar nicht sein) und kaputtem Wasserhahn klingen, ich vermute aber, dass sie von der Schallplatte kommen, die Sandra aufgelegt hat. »Ich habe meine Liebe zu elektronischer Musik entdeckt«, sagt sie. »Blip-Hop ist das Größte!«
    Dann stellt Sandra plötzlich doch eine Frage: »Sag mal, warum siehst du eigentlich aus wie rückwärts durch die Hecke gezogen?«
    Hecke. Das Stichwort. Mir schießen die Tränen in die Augen.
    Und dann erzähle ich Sandra doch alles: Von Monique, die in jedem Gebüsch zu hocken scheint, bis zum Eierlikör-Exzess mit Herrn Wesseltöft. Von Heiners Seitensprung, meiner Kündigung und dem Eklat beim Feuerwehrball. Nur den geplanten Hausbau verschweige ich, das würde sie nie verstehen. Verstehe ich ja selber kaum noch.
    »Da habe ich ja richtig was verpasst«, kommentiert Sandra den Feuerwehrball. »Da gehe ich ein einziges Mal nicht hin, und dann gleich sowas ...« Mit leichtem Bedauern ob der entgangenen Sensation schüttelt sie den Kopf. »Aber lassen wir das. Jetzt ist erst mal etwas ganz anderes wichtig.«
    »Und das wäre«, frage ich kläglich.
    »Du!« Sandra nickt entschlossen. »Dich müssen wir mal gründlich runderneuern! Und dann sehen wir weiter.«
    Sie zieht mich ins Badezimmer. Die Frau, die ich dort über dem Waschbecken im Spiegel sehe, kenne ich nicht. Sie sieht mehr als nur ein wenig mitgenommen aus, die Haare zerzaust, die Haut hektisch gefleckt, die Augen beringt wie ein Waschbär. Aber die Frau trägt ein T-Shirt aus meinem Tüten-Fundus, also muss ich das wohl sein.
    »Erst mal duschen. Schön heiß, schön lange. Unter zwanzig Minuten bringt das gar nichts«, behauptet Sandra. »Die Haut muss so richtig schön durchfeuchten. Wasser ist Leben – das musst du durch alle Poren in dich

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