Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
aufnehmen.«
»Hast du jetzt auch so einen Feng-Shui-Tick wie Brigitte«, frage ich.
»Nein, ich stehe mehr auf Thalasso.«
Ich muss mir auch mal so einen Trend rauspicken und ein paar Schlüsselsätze lernen. Man muss ja nicht gleich daran glauben, um andere zu beeindrucken.
Als ich nach fünfundzwanzig Minuten in vorgewärmte – vorgewärmte! – Handtücher gehüllt aus der Dusche trete, fühle ich mich schon besser, sehe aber zumindest an den Händen und Füßen reichlich verschrumpelt aus. Sandra baut vor mir eine kleine Armada aus Tiegelchen und Tübchen auf.
»Für die Augen nimmst du die Ten-Hour-Creme, für die T-Zone die Fünfundzwanzig-Minuten-Lotion«, ordnet Sandra an, »und den Körper cremst du mit der One-Day-Milk ein.«
Ich creme und schmiere drauflos. »Muss man die auf den Packungen angegebenen Zeiten addieren, multiplizieren oder gar subtrahieren?«, frage ich.
»Weder noch. Einfach ignorieren. Ich habe nur herausgefunden, dass Cremes, die eine Zahl im Namen tragen, besonders gut wirken«, antwortet Sandra. Sie muss es wissen, sie sieht phantastisch aus.
Sie malt mir die Augen an und schmiert mir etwas auf den Kopf, das aussieht und riecht wie gepresste Weihnachtsbaumbienenwachskerzen und gegen das selbst meine stylingproduktvernichtenden Haare keine Chance haben. Zum Schluss drückt sie mir einen Lippenstift in die Hand und verschwindet in Richtung ihres Kleiderschranks.
Ich schminke mir den Mund, ziehe frische Jeans und ein neues T-Shirt an. Sandra kommt zurück und bindet mir eine geblümte Kittelschürze um.
»Perfekt!« Sie strahlt mich an. »Ich würde sagen: Mission accomplished. Du siehst klasse aus! Oder, wie man bei euch auf dem Land wahrscheinlich immer noch sagt: stadtfein!«
Ich weiß, dass meine Mutter sich unter stadtfein etwas anderes vorstellt, und ich bin in diesem speziellen Fall ausnahmsweise geneigt, mich ihrer Begriffsdefinition anzuschließen, aber Sandra duldet keinen Widerspruch. »Ohne Schürze oder ein anderes trendiges Detail kommst du in den Club, in den wir nachher gehen, nicht rein«, mutmaßt sie. Ich merke: Dresscodes gibt es nicht nur auf dem Land und im Kopf meiner Mutter.
»Und, wie findest du dich?«, will Sandra wissen.
Die Frau, die ich jetzt im Spiegel sehe, kenne ich zwar immer noch nicht, aber sie sieht gut aus. Vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne schön, aber immerhin interessant. Verwegen. Abenteuerlustig. Oder: apart, wie meine Mutter sagen würde.
»Toll!«, sage ich und umarme Sandra.
»Dann los.«
Jetzt gehen wir aus! Und jetzt wollen wir ausgehen, uns amüsieren. Ich will Spaß. Aber wirklich! Und vielleicht auch knutschen! Am liebsten mit Herrn Wesseltöft. Aber das geht ja nicht.
Vor dem Club, der recht baufällig aussieht, gibt Sandra mir einen Schlüssel für ihre Wohnung. »Falls wir uns aus den Augen verlieren. Du kannst dir meine Yogamatte nehmen, die liegt im Regal im Flur. Da müsste auch noch ein Schlafsack sein.«
Sie sagt dem Türsteher ihren Namen und »Ich stehe auf der Gästeliste. Plus eins.« Dabei zeigt sie auf mich. Wir bekommen Stempel und müssen keinen Eintritt zahlen.
Hinter der Tür schlägt mir eine undurchdringliche Wand aus Lärm und Rauch entgegen, von der Sandra sofort verschluckt wird. Ich bin allein. Mit ein paar hundert fremden Menschen um mich herum. Ich falle nicht weiter auf. Wahrscheinlich könnte ich mich völlig daneben benehmen, es wäre allen egal. Das ist der Unterschied zum Leben auf dem Dorf. Wenn man sich dort mal daneben benimmt, liefert man Gesprächsstoff für mehrere Jahrzehnte. Von einer Prügelei wie auf dem Feuerwehrball würde man hier kaum Notiz nehmen.
Der Lärm kommt von der Band. Ein dichter Soundteppich hüllt mich ein. Es klingt, als würden Maschinen gefoltert, Kaffeemaschinen womöglich. Doch dann tritt ein Mann auf die Bühne und beginnt zu singen. Hinter seinem dichten, dunklen Pony, der ihm bis über den Mund hängt, dringt seine tiefe, mächtige Stimme hervor. Als er seine Haare zurückwirft, sehe ich sein zerfurchtes Gesicht. Gar nicht mein Typ. Aber irgendwie sexy. Und er scheint sich wirklich gut zu amüsieren. Tanzt hin und her, mit geschmeidigen Bewegungen, schüttelt sein Haar. Die Musik gewinnt an Form und Melodie und gefällt mir auf einmal richtig gut. Ich drängele mich nach vorne, in die erste Reihe, tanze direkt vor der Bühne. Wir sehen uns an, der Sänger und ich. Nur einen kurzen Moment, aber das reicht.
Nach dem Konzert stelle ich mich an die
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