Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
– und der sich jetzt Besitz ergreifend um meine Schultern legt – fühlt sich stark und wohldefiniert an. Ich muss meine Einschätzung von vorhin revidieren denn jetzt fühle ich mich durchaus wie eine Undercoveragentin mit der Lizenz zu so ziemlich allem, was möglich ist. Den nächsten missgünstigen Groupieblick einer Kittelschürzenträgerin pariere ich mich einem Lächeln, das mit Sicherheit nicht nur tequilaselig, sondern auch ziemlich zufrieden wirkt.
Wir gehen zwischen hohen Häusern entlang, durch enge Straßen. Ich halte meinen Blick nach unten gesenkt. Nicht in einem Anfall übertriebener Züchtigkeit, sondern weil ich nicht in einen Hundehaufen treten will. Das Gebiet ist großzügig vermint. Warum halten Leute in der Stadt überhaupt Hunde? Wissen die nicht, dass die armen Viecher kein Katzenklo benutzen?
Im Gegensatz zum Dorf ist in der Stadt auch nachts mächtig was los. Uns kommen ständig Leute entgegen, die Männer mit Bierflaschen in der Hand, die Frauen leicht schwankend, sich an den Männern festklammernd. Kilowatt kennt sie alle. »Ey, Alter, was geht?«, wird er alle zehn Meter begrüßt.
»Alles klar, alles klar«, antwortet er und schiebt mich weiter, hinein in eine plüschige Bar, in der diverse Fernseher laufen. Es werden Pornos gezeigt, den Kostümen nach – solange die Darsteller noch welche anhaben – aus den siebziger Jahren.
»Abgefahren, oder?«, grient Kilowatt mich an.
»Interessant«, räume ich ein. Leider überhaupt nicht animierend, aber irgendwie ... lustig. Grotesk. Während um uns herum auf den Bildschirmen fleißig kopuliert wird, knutschen wir los, was das Zeug hält. Er mit viel Elan, ich nach kurzer Zeit auch sehr engagiert. Die Pornos sind uns schnell völlig egal, wir hätten uns selbst durch eine Kochshow, eine Dauerwerbesendung für neuartige Putzmittel oder eine Dokumentation über Trottellummen und Blaufußtölpel nicht mehr ablenken lassen. Unsere Haare verschmelzen wie unsere Münder zu einer Einheit, bestimmt sehen wir aus, wie ein außer Kontrolle geratener futuristischer Wischmop. Jeder zerrt an den Klamotten des anderen, aber Sandra hat mir die Kittelschürze stramm wie einen Keuschheitsgürtel gebunden und Kilowatts Hemd hat mehr Ösen als ein Rokoko-Korsett. Ein Hemd mit Ösen – der Mann ist wirklich exzentrisch! Dafür küsst er um so besser. Mein Körper fühlt sich schon wieder ganz »durchfeuchtet« an, wie Sandra sagen würde (die zeitgleich hoffentlich mit dem Gitarristen knutscht), an entscheidender Stelle sogar mehr als nach fünfundzwanzig Minuten Duschen ohne Abtrocknen. Wir lassen nur Sekundenbruchteile voneinander ab, um uns gegenseitig den Tequila einzuflößen, den uns die Barfrau immer wieder unaufgefordert hinstellt. Aber so kommen wir irgendwie nicht weiter. Ich will mehr!
»Wollen wir nicht vielleicht ...«, flüstere ich Kilowatt ins Ohr, als es mir endlich gelingt, seine Zunge von meinem Mund zu trennen. Vielleicht. Das ist so ein Wort, das eine Undercoveragentin sicher nicht gebrauchen sollte. Ich räuspere mich und sage mit entschlossener Stimme: »Wir gehen jetzt zu dir.«
»Aber gerne!« antwortet er.
Als verschlungene Masse bewegen wir uns amöbenartig aus der Bar hinaus, nicht auf die Straße, sondern gleich wieder in den nächsten Hauseingang hinein, einige schmale, fahl beleuchtete, baufällig wirkende Treppen hinauf und hinein in Kilowatts Wohnung. Die scheint über den Rohbauzustand nie wirklich hinausgekommen zu sein. Das Bett ist aus einem Baugerüst zusammengeschraubt und im Bad – das kann man deutlich sehen, weil die Tür offen steht – gibt es nichts außer einer Toilette und einem Wasserhahn, unter dem ein Eimer steht. Die Existenz einer Küche wage ich zu bezweifeln, aber das ist mir sogar egal. Momentan könnten mich weder Cremeschnittchen noch Zürcher Geschnetzeltes locken, ich habe bloß Appetit auf Kilowatt. Und der erscheint mir gerade extrem köstlich!
Endlich löst er Knoten und Knöpfe der Kittelschürze, streift sein ösenbewehrtes Hemd einfach über den Kopf und entfernt ebenso lässig alle weiteren störenden Textilien. Er greift in eine große Schachtel, die neben dem Bett steht, hat die Hand voller Kondome, streift sich eines über, ganz selbstverständlich und ohne Diskussion – und dann geht es ab. In wilder Rangelei werfen wir uns auf die baugerüstgestützte Matratze, fallen völlig hemmungslos übereinander her, mein Gott, dieser Mann kann sich bewegen, und es ist mir egal, wer er
Weitere Kostenlose Bücher