Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Schreibtischen hocken und Musterhausprospekte an Kunden verschicken. Sie sind ein Musterbeispiel an Fleiß und Pflichterfüllung. Nur Olaf macht etwas ganz anderes: Er hat es sich unter der Kastanie hinter dem Designerhaus gemütlich gemacht und blättert in alten Katalogen.
»Es muss doch auch schöne Häuser geben«, sagt er, als ich mich zu ihm setze. »Irgendwann müssen diese Fertighausunternehmer doch auch mal gute Ideen gehabt oder mit richtigen Architekten zusammengearbeitet haben. Es kann doch nicht sein, dass das hier«, er zeigt auf das Designerhaus, das in der Sonne vor sich hin erkert und gaubt wie ein unregelmäßig aufgegangener Hefeteig, »das Beste ist, was sie fertigbringen.«
»Ich habe da neulich was im Fernsehen gesehen«, fällt mir ein. »Eine Dokumentation über finnische Fertighäuser aus den sechziger Jahren, die sahen aus wie UFOs. Oder Smarties. Ganz rund. Und wunderschön!«
»Kann ich mir so gar nicht vorstellen.«
Ich ziehe aus Olafs Unterlagen einen Zettel und einen Stift und male ihm ein Futuro auf. Besser gesagt: Ich zeichne ihm gleich eine ganze Futuro-Siedlung. Eines, das an einem Hubschrauber schwebt, eines im Wald, eines von innen, mit Kaminfeuer in der Mitte, eines, in dem gerade eine Cocktailparty stattfindet. Ich bin ganz überrascht, wie gut die Zeichnungen werden.
»Das sieht ja phantastisch aus!«, sagt Olaf. »Wo gibt es diese Dinger?«
»In Finnland. In den Sechzigern. Die Idee hat sich aber nie durchgesetzt, deshalb wurden nur ganz wenige gebaut. Keine Ahnung, ob es die überhaupt noch gibt.«
»Ach, wie schade«, seufzt Olaf. »So eines hätte ich auch gerne.«
Einen Moment lang hängen wir beiden unseren Träumen nach, und ich bin mir fast sicher, dass seine auch um eine gemeinsame Zukunft in einem UFO-Haus kreisen ... Mein piepsendes Handy holt mich in die Realität zurück. Brigitte hat mir eine SMS geschickt: Dodo hat die Wahl gewonnen! Ganz knapp – mit einer Stimme Vorsprung!
Na, dann hat es sich ja wenigstens gelohnt, dass ich dort war. Ich schicke Dodo eine Glückwunsch-SMS und freue mich.
***
Mittwoch, 18. Mai & Donnerstag, 19. Mai
Die beiden folgenden Tage vergehen rasch – und ich habe wirklich fast das Gefühl, dass ich in dem Wellnesshotel bin, von dem ich meiner Mutter vorgeschwindelt habe: Ich schlafe, schleiche mich aus der Musterhaussiedlung und vertrödle den Tag jenseits meines Dorfes und einer ordentlichen Freizeitgestaltung. Brigitte kommt in ihren Mittagspausen mit ihrem Auto angebraust, wir kostümieren uns mit Perücken und Sonnenbrillen und schlendern durch die Nachbarorte. Die Nachmittage verbringe ich in meinem Wäldchen. Ich halte mich so gut es geht von dem Laubhügel fern, in dem ich Heiner und Monique gesehen habe, und genieße die Ruhe, die frische Luft und die Sonne, in der ich regelmäßig einschlafe. Manchmal stelle ich mir vor, ich würde für immer hier bleiben. Eins mit der Natur. Spätestens, wenn mich eine Ameise in den Hintem beißt oder es ein bisschen kälter wird, verwerfe ich diesen Plan wieder. Dann hole ich den Katalog aus der Tasche und sehe nach, wo Olaf und ich am Abend wohnen werden. Dann kocht er, und ich trinke. Das mache ich jetzt scheinbar regelmäßig. Kein Wunder, dass mir morgens immer ziemlich flau im Magen ist. Gestern musste ich mich sogar übergeben. Aber daran möchte ich jetzt lieber nicht denken.
Unser Haus des Tages:
Modell Harmonie
Baujahr:
1997
Material:
Fertigplatten, alles Markenware, wie der Hersteller versichert
Quadratmeter:
238 Quadratmetern
Zimmer:
2 x 4 Zimmer, hübsch symmetrisch angeordnet
Zukunftsprognose: Ein Doppelhaus! Ein Zwei-Generationen-Haus! Heiners Mutter wollte schon immer mal in einem neuen Haus wohnen. Weil es so praktisch ist, übernimmt sie gleich die gesamte Planung und entscheidet auch über die Innenausstattung – die soll ja schließlich einheitlich und günstig sein. Praktisch natürlich auch. Also wird unten alles schön diagonal gefliest, mit ein paar Bordüren, die die einzelnen Wohnzonen markieren. Ich werde das Gefühl nie loswerden, dass Heiners und meine Hälfte von ihr heimlich mit winzigen eingebauten Videokameras ausgestattet wurde, damit sie mein Putzverhalten kontrollieren kann. Ihr altes Haus vermieten die Schwiegereltern zu einem Wucherpreis.
Olaf und ich haben uns schon fast durch die ganze Siedlung gewohnt. So richtig zuhause fühlen wir uns in keinem der Häuser, aber das ist wohl auch schwierig, wenn man keine Spuren hinterlassen
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