Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
leicht missglückten venezianischen Charme. Ein paar Mini-Gondeln würden gut hierher passen – doch das macht aus den Fertighäusern noch lange keine Palazzi.
Das nächste Haus ist eine Siebziger-Jahre-Konstruktion aus Glas und dunklen Balken. Es erinnert mich an einen Auftritt von Abba bei der aktuellen Schaubude: Agneta und Anafrid in mondänen Kostümen vor Strohballen. Elegant-rustikal. Ohne große Erwartungen gehe ich hinein – und erstarre.
Ein Satzfetzen erreicht gerade noch den schwindenden Rest meines Bewusstseins: »Ich tue alles, was Sie wollen.« Um mich herum eine große Halle. Unter mir Marmor. Über mir eine Galerie. Vor mir Tom Cruise in größer, besser aussehend, seine Stimme in meinem Ohr, seine Hand streckt sich mir entgegen, greift nach meiner, ich wanke, ergebe mich seinem Timbre, seinem strahlenden Blick, seinem betörenden Duft, sehe Meer, Palmen, eine gemeinsame Zukunft, eine prächtige Villa, taumele benommen zur Seite und kann mich gerade noch am Geländer der Freitreppe festhalten.
»Der Grundriss ist ja sehr unpraktisch. Verschenkter Platz!«, wiederholt meine Mutter ihr Besichtigungsmantra.
Was macht die denn hier? Ach ja, wir sind in einer Musterhaussiedlung, erinnere ich mich.
»Es heißt übrigens nicht Musterhaussiedlung, sondern Massivhauspark«, klärt mich der Tom Cruise der Fertighäuser auf. Er ist nicht nur schön, sondern auch noch klug. Gebildet! Intelligent! Massivhauspark! Was für ein Wort! Das klingt auch gleich wuchtiger, handfester, nicht so provisorisch.
Ich bin verliebt! Hin und weg! Total begeistert! Leider nicht vom Haus, sondern vom Verkäufer. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Das ist Blödsinn. Das passt mir jetzt gar nicht. Aber warum eigentlich nicht?
Herr Wesseltöft heißt er, das steht jedenfalls auf seinem Schild, und ich hätte gerne seine Visistenkarte, nur, um nachzusehen, ob seine Berufsbezeichnung Musterhausherr ist – und natürlich, um seine Telefonnummer zu haben. Seine Krawatte ist uni, und Mutti wickelt er mit dem Angebot: »Sie können den Grundriss natürlich nach Ihren Vorstellungen verändern. Wir benennen dann das Haus nach Ihnen« um den perfekt manikürten Finger. Sie füllt sogar das Formular aus, dass er ihr hinhält. Freiwillig gibt sie alle persönlichen Daten preis, von der Schuhgröße bis zur Telefonnummer. Wahrscheinlich sogar meine Telefonnummer. Ich bin zu verwirrt, um sie davon abzuhalten. Und dann wiederholt Herr Wesseltöft den Satz, von dem ich vorhin im Taumel nur den letzten Teil vernommen hatte: »Sie bauen, Sie bezahlen, und ich tue alles, was Sie wollen.«
3. Kapitel:
Im Keller
Samstag, 7. Mai, später
Ich habe mich überwunden. Den inneren Schweinehund besiegt und meinem Schicksal ins Gesicht geschaut. Die unhandliche Gartenliege samt Auflage auf das Sumpfgrundstück geschleppt und mich dort niedergelassen, um mich schon mal an meinen neuen Wohnort zu gewöhnen. Mich ein bisschen einzuleben.
Meine Mutter hat den Fertighaus-Vorauswahl-Versuch für gescheitert erklärt und abgebrochen – ich erschien ihr einfach nicht entschlussfreudig genug, und wir hatten kein Haus gefunden, in dem alle Fenster so angebracht waren, dass man sie ohne professionelle Hilfe putzen konnte. Jetzt zähle ich die kleinen Fliegen auf meinem Unterarm und stelle mir vor, wie es so sein wird, hier, im neuen Haus, auf dem Sofa zu liegen und zu wohnen.
Folgende Szene schwebt mir vor: Ich tänzele in einem geschmackvollen Hausdress – eine Art Jogginganzug in elegant fließender Seidenjersey-Qualität – durch das Wohnzimmer und arrangiere duftende Blüten zu hinreißenden Stilleben. Auf dem stilvollen Beistelltisch türmt sich köstliches exotisches Obst auf einer filigranen Etagere. Meine perfekt manikürten Hände greifen nach einem makellosen Pfirsich, mit strahlend weißen Zähnen beiße ich ein Stück saftiges Fruchtfleisch heraus, ohne dabei auf den sandfarbenen, hochflorigen Teppich zu kleckern.
Dabei fällt mir ein: Ich habe ja wirklich einen Pfirsich dabei. Der ist allerdings schon ziemlich zermatscht, als ich ihn aus der Tasche pule. Und beim Hineinbeißen spritzt der Saft über mein T-Shirt und kreiert ein ungleichmäßiges Pünktchenmuster, passend zum Fleck, der von innen durch die Tasche schimmert. Ist doch toll, wenn Kleidung und Accessoires aufeinander abgestimmt sind. Ich mache modische Fortschritte.
Meine Phantasie schreitet auch voran, ich kann kaum folgen: Meine traumhafte Pfirsichnascherei hat
Weitere Kostenlose Bücher