Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
denen mir etwas liegt, fernzuhalten. Und mir liegt fast an allem etwas, was essbar ist. Da bin ich genau wie meine Mutter, deren Speisekammer fast größer als die Küche ist, die Gefriertruhen quasi über das ganze Haus verteilt hat und die am liebsten Gastro-Großpackungen einkauft. Trotzdem trägt sie Zeit ihres Lebens höchstens Größe 38, während ich hin und wieder zu 42 greifen muss. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass bei H&M alles kleiner ausfällt und hier im örtlichen Modehaus wahrscheinlich alles mit »einer schlanken 38« ausgezeichnet ist, denn es mag sich ja keiner blamieren und etwas Größeres kaufen. Meine Figur ist für mich übrigens kein Problem, sondern, seltsamerweise, eher für meine Mutter. Genau genommen ihr zweitliebstes Problem: nach meiner Frisur.
Plötzlich reißt mich eine Stimme direkt hinter mir aus meinen Gedanken. »Kind, wie siehst du denn aus?« Vor Schreck zucke ich zusammen und brate den verblichenen Geranien mit der Gießkanne eins über.
»Mutti, du sollst dich nicht immer so an mich ranschleichen!«
»Und du sollst dir mal überlegen, ob dir dieser Rock wirklich steht. Der ist so unvorteilhaft geschnitten. Und lila ist gar nicht in.«
»Woher weißt du denn das schon wieder?«
»Das habe ich in der Wusch gelesen!«, antwortet sie hoheitsvoll.
»Bitte wo?«
»In der Wusch! Oder Vok , oder wie das heißt.«
»Du meinst die Vogue?«
»Ja, natürlich. Aber wie spricht man das noch mal richtig aus, Wogü? Das kommt mir so falsch vor, ich hatte doch auch mal Französisch ...«
Ich schweige. Rache muss sein. Soll sie doch glauben, dass die Vogue wie Wogü ausgesprochen wird, wahrscheinlich meinte sie eh die Brigitte. Oder den Quelle -Katalog. Niemand hier im Dorf liest Vogue. Dabei gibt es die Zeitschrift sogar im Supermarkt – wie alle anderen Zeitschriften auch. Denn der Supermarkt hat alles. Er trägt zwar einen irreführenden Namen – Knurres Krämerlädchen – , aber so hieß der Laden eben immer schon, lange bevor man ihn vergrößert hat. In dem neuen Gebäude, das aussieht wie eine Kreuzung aus einer Tennishalle und einer Tiefgarage, die versehentlich oberirdisch gebaut wurde und dem man dann, um einen gewissen Kleinstadtfußgängerzonencharme zu erzeugen, vorne ein paar Dachgiebel aufsetzte, in diesem optisch nicht so ganz gelungenen Gebäude gibt es ein verwirrend umfangreiches Angebot. Angefangen bei der gigantischen Zeitschriftenpalette (wenn man nur lange genug sucht, findet man dort bestimmt auch ein Exemplar der griechischen Wogü) bis hin zu exotischen Fleischsorten. Neulich gab es Strauß und Bison, ich rechne nächste Woche fest mit Krokodil und Zebra. Die Preise sind natürlich exorbitant. Aber man kauft eben dort, weil es sich so gehört. Weil man sich kennt. Weil man es immer schon so gemacht hat. Heimlich fährt man dann aber trotzdem auch in den Nachbarort zu Aldi. Und auf dem Rückweg werden die Discount-Einkäufe im Auto mit einer Decke getarnt.
Aber ich schweife ab. Warum ist meine Mutter denn jetzt hier? Waren wir verabredet und ich habe es vergessen? Das würde ins Geranien-Schema passen. Mein Leben ist so wenig aufregend, dass ich mir einfach keine Mühe mehr mache, mir überhaupt irgendetwas zu merken. Passiert ja sowieso nichts.
»Falls du es vergessen hast: Ich bin hier, weil Heiners Eltern heute aus dem Urlaub zurückkommen«, klärt meine Mutter mich auf, die ein gewisses Talent zum Gedankenlesen besitzt. Oder zumindest zum Lesen meiner Gedanken.
Traditionell gibt es bei der Rückkehr meiner Schwiegereltern in spe abends ein kleines Beisammensein, das sie dazu nutzen, ihr am Ferienort gedrehtes Videomaterial frisch und ungeschnitten vorzuführen. Meistens so ein bis drei Stunden, davon 80 Prozent recht verwackelt oder in die Tasche gefilmt, weil sie vergessen haben, die Kamera wieder auszuschalten. Und, wie die Tradition es so will, serviere ich dazu Häppchen.
Das wird knapp. Was habe ich Essbares im Haus? Wie spät ist es? Knurres Kramerlädchen hat auf jeden Fall schon zu.
»Nein, Mutti, natürlich habe ich es nicht vergessen.« Warum kann ich ihr gegenüber nie etwas zugeben? Egal. Ich könnte die Mega-Packung Kinderriegel hinstellen. Ja, das wird gehen.
»Und was willst du anbieten? Die Hanuta-und-Salzstangen-Nummer im letzten Jahr war ja ein wenig schwach ...«
Okay, da hat sie mich.
»Ich dachte an ...« Ein schwacher Versuch, ein letztes Ringen um die Fassade. »Nein, keine Ahnung, ich habe es wirklich
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