Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
selbstverständlich.
Ich öffne den Mund, weiß aber noch nicht genau, was ich sagen soll, da legt meine Mutter schon los: »Das ist doch ideal! Der Eingang muss nach dort«, sie deutet zur Straße, »das Carport kommt hier hin und die Terrasse am besten nach da hinten«, sie zeigt zum Autohaus, »im Anschluss an den Wintergarten. Aber ihr seid doch sicher hungrig! Wir können das ja beim Essen weiter besprechen.«
»Nächsten Sommer steht der Kasten«, stellt Heiner, frischgebackener Bauherr in spe, ebenso selbstbewusst wie selbstzufrieden fest.
Ich bleibe immer noch stumm. Mir fällt einfach nichts ein, was ich dazu sagen könnte.
Beim Essen werden die Vor- und Nachteile von offenen Küchen und einer Fußbodenheizung erörtert. Beim ersten muss man penibel Ordnung halten und immer sofort abwaschen, falls mal unangemeldeter Besuch kommt, beim zweiten drohen Venenprobleme bis hin zu Krampfadern. Bei mir wird von den beiden anwesenden Fachfrauen ein leichter Hang zur Unordnung und eine familiär bedingte Neigung zu Bindegewebs- und Venenschwäche diagnostiziert. Also käme wohl beides eher nicht in Frage. Bliebe also ein Wintergarten als exklusives Extra.
Ich erinnere mich an die Geranien, trinke mein Glas tunesischen Weines rasch aus und verabschiede mich nach oben.
»Kind, du bist so still. Was ist denn los?«, fragt meine Mutter.
»Och, nichts«, antworte ich, bevor ich gehe. Und denke: Gute Frage.
Was ist mit mir los?
Ich putze mir die Zähne, wie ich mir immer die Zähne putze – exakt drei Minuten lang. Wasche mir das Gesicht, ziehe mein Lieblings-Schlaf-T-Shirt an und lege mich ins Bett. Starre an die Raufaserschräge dicht über meinem Kopf und beginne, über mein Leben nachzudenken.
Das ist ziemlich ungewöhnlich für mich. Natürlich denke ich manchmal nach, und es ist nicht immer nur der Einkaufszettel für den nächsten Supermarktbesuch, der dabei herauskommt. Manchmal versuche ich auch wichtige Fragen der Menschheit zu lösen, zum Beispiel: Welchen Krieg planen die Amerikaner gerade? Warum geht nur jeder zweite Hefeteig auf? Wo sind meine Schlüssel, meine Geldbörse, mein Mobiltelefon, mein Führerschein? Oder, ganz wichtig: Warum sind alle Süßigkeiten im Haus immer nach spätestens vierundzwanzig Stunden verschwunden?
Wenn ich mir diese Liste anschaue: Es hat den Anschein, als dächte ich überproportional oft ans Essen. Aber woran soll man auch denken, wenn man keine Sorgen hat und keine komplizierten Hobbys?
Ich könnte mir meine Zukunft vorstellen, einfach mal so. Also los. Okay. Zukunft. Was ist denn Zukunft? Fangen wir erst mal klein an: Morgen. Morgen muss ich um sechs Uhr aufstehen, um acht Uhr in der Kreissparkasse sein – dort arbeite ich –, und abends treffe ich Brigitte, meine beste Freundin. Das war leicht. Weiter. Übermorgen: Genau wie am Tag davor, aber abends ist das Treffen vom Landfrauenverein. Ich habe meiner Mutter versprochen, sie zu begleiten.
Nee, aber jetzt mal im Ernst: Meinen Terminkalender durchzugehen hat nun wirklich nichts mit Zukunftsvisionen zu tun. So mache ich es mir zu leicht. Deshalb: Nächstes Jahr. Schon schwieriger. Ich sehe –
– nichts. Noch mal. Ich sehe: ein hundepipifarbenes Fertighaus, darin eine Frau mit einer figurfreundlichen Lycrahose und flottem Haarschnitt. Aber das bin nicht ich, die sieht aus wie aus einem Versandhauskatalog. Wahrscheinlich wurde sie mit dem Haus geliefert.
Als Wahrsagerin wäre ich aufgeschmissen. Die Kristallkugel würde sich rot färben vor lauter Scham über meine Phantasielosigkeit, der schwarzen Katze auf meiner Schulter stünden die Haare zu Berge. Vielleicht ganz gut, dass ich einem weniger schillernden Beruf nachgehe.
Was bedeutet es, dass ich nichts sehe und nichts fühle, wenn ich an meine Zukunft denke? Warum kann ich mir meine Zukunft nicht vorstellen? Heißt das, dass ich keine habe?
Wie sieht es denn in der Gegenwart aus? Kurze Bestandsaufnahme: Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, lebe schon immer in diesem kleinen Dorf in der Nähe der großen Stadt – die aber für das gesellschaftliche Leben des Dorfes keine Rolle spielt und deren Existenz von fast allen hier völlig ignoriert wird –, bin seit Ewigkeiten mit Heiner zusammen, wohne nun schon zwei Jahre mit ihm in seinem Dachausbau, bin seit fünf Jahren bei der Sparkasse im Ort angestellt, bei der ich vorher eine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht habe. Ich bin, wahrscheinlich seit meiner Geburt, Mitglied im örtlichen Turnverein, obwohl
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