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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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ich so unsportlich bin, dass mir bei den Bundesjugendspielen sogar mehrfach die Siegerurkunde verwehrt wurde. Ich sehe mittelmäßig aus, fahre mittelmäßig Auto, bin eine eher unterdurchschnittlich gute Hausfrau, dafür aber überdurchschnittlich geduldig – auch und gerade mit Wollmäusen und dreckigem Geschirr. Trotzdem ist mein Leben, mit Ausnahme meines Kleiderschrankes und der Rückbank meines Autos, recht geordnet. Alles ist so, wie es sich gehört. Wie erwartet. Ich bin zufrieden.
    Moment. Was heißt das: Wie erwartet? Von wem erwartet? Von mir? Und warum kommt das Wort »warten« darin vor? Wer wartet hier? Ich? Auf wen oder was? Und warum bin ich bloß zufrieden und nicht glücklich?
    Das sind jetzt aber viele Fragen. Sehr viele für jemanden, der sonst nie über sein Leben nachdenkt. Wer soll die denn alle beantworten? Ich etwa? Und das nach drei Gläsern Wein. Bin schon ganz duselig im Kopf. Vielleicht liegt es daran. Ich sollte mit dieser Grübelei aufhören und mich einfach freuen. Über das Grundstück. Auf das Haus. Ist doch schön. Andere Frauen wären glücklich. Ich stelle mir fünf, zehn, fünfzehn andere Frauen vor, die wahnsinnig glücklich sind, weil sie mit Heiner und dem Geld von Heiners Schwiegereltern ein Fertighaus auf einer matschigen Wiese bauen dürfen. Die Damen flippen schier aus vor lauter Freude. Sie kreischen wie Zahnspangenträgerinnen beim Anblick einer Boygroup, sie weinen Tränen der Rührung und setzen zu einer Dankesrede an, als hätten sie gerade fünf güldene Bambis bekommen. Die schillernde Vorstellung dieser sich freuenden Frauen stimmt mich ein wenig heiterer. Ich mische mich in Gedanken unter sie und feiere mit. Das ist ein Happy-End. Schnitt, aus. Morgen ist morgen, da muss ich doch heute noch nicht drüber nachdenken. Das kommt ja auch ganz von alleine. Eigentlich ist ja alles in Ordnung.
    Ach ja, ich war schon immer gut im Verdrängen.
    Heiner kommt ins Bett. Er riecht komisch. So süßlich. Wahrscheinlich hat seine Mutter ihm etwas orientalisches Rasierwasser mitgebracht und darauf bestanden, dass er es sofort ausprobiert.
    »Du riechst aber komisch!«, stelle ich fest.
    »Meine Mutter hat mir so ein Eau de Toilette mitgebracht, ich musste es gleich ausprobieren.«
    Wie gut ich ihn doch kenne. Ich drehe mich um, rolle mich trotz der Hitze fest in die Bettdecke ein. Draußen ist es hell, ein Blick auf den Wecker verrät mir: Es ist morgens, halb sechs. Bisschen spät für mütterliche Duftwässerchen, denke ich noch, bevor ich wieder einschlafe und von einer Neubausiedlung träume, die von hemmungslosen, sexhungrigen Marienkäfern bewohnt ist. Einer davon ist Heiner. Die anderen kenne ich nicht. Blöder Traum.
    ***
    Mittwoch, 4. Mai
    Nach der Arbeit gehe ich zu Brigitte. Sie wohnt direkt über der Sparkasse, mit Blick auf die Umgehungsstraße und den neuen Friedhof. Die Tür ist angelehnt, sie erwartet mich. Statt die Aussicht zu genießen, starrt sie gebannt in den Fernseher und ruft euphorisch: »Das musst du dir unbedingt ansehen, Silke! Die kommt heute Abend schon zum dritten Mal!«
    Auf dem Bildschirm erkenne ich zwei junge Frauen, die so aussehen wie Brigitte und ich, nur lässiger angezogen und viel entspannter und ganz unauffällig auf natürlich geschminkt, so dass sie ungeschminkt wirken. Diese beiden geleckten, gestylten und wahrscheinlich sehr gut bezahlten Kopien von uns verbringen einen Tag am Meer. Anscheinend haben sie alle interessanten Gesprächsthemen schon erschöpfend abgehandelt, denn gerade reden sie über Verdauung. Meine Doppelgängerin zeichnet mit der Hand eine Schlangenlinie in den Sand: ihren Darm. Ganz poetisch wird ihre Zeichnung von der nächsten Welle weggewaschen. Brigittes Doppelgängerin verstärkt ihr Darmschlingenrelief mit einem Rand aus Muscheln – das Werk trotzt dem Wasser. Der Schriftzug eines neuartigen Medikamentes wird eingeblendet.
    »Wir sollten am Wochenende an die Nordsee fahren, um an der Europameisterschaft der Innereien-Sandburgenbauerinnen teilzunehmen!« Brigitte lacht mit vollem Körpereinsatz, fällt dabei fast vom Sofa und verschüttet ihren Wein über den ohnehin schon rotweinroten Teppich. Ich nehme ihr das Glas ab, um den Rest zu retten.
    »Los, probier schon«, fordert sie mich auf, als sie sich wieder eingekriegt hat. Brigitte sagt das in dem für sie typischen Ton, der keinen Widerspruch duldet – aber gleichzeitig auch so mitreißend ist, dass man gar nicht auf die Idee kommt, etwas dagegen halten

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