Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Irgendwie sauber, aber verkehrt.
Ich dachte immer: Hier gehöre ich her, hier, neben Heiner. Aber nun stimmt das gar nicht. Das verwirrt mich zutiefst.
Um trotz Heiners Schnaufen und meiner gequirlten Gedanken einschlafen zu können, probiere ich meinen alten Trick: Ich versuche, meinen Atemrhythmus an Heiners anzupassen. Ein-aus-eeeeeiiiiin-aaaaauuuus. Funktioniert nicht. Sonst ging das immer, nun finde ich den Takt nicht mehr. Aus Ein-aus wird in meinem Kopf Schwein! Raus!
***
Dienstag, 10. Mai
Am Morgen rufe ich gleich meine Mutter an. Zwar habe ich das Bedürfnis, mich bei ihr auszuheulen und ihr zu erzählen, wie gemein die Welt zu mir ist und wie fies das Schicksal mich behandelt, aber ich vermute, dass das bei ihr nicht so gut ankäme. Vielleicht würde sie mich sogar falsch verstehen und glauben, ich sei an allem Schuld. Das ist sogar sehr wahrscheinlich, denn sie neigt dazu, mich für mein Leben verantwortlich zu machen. Und eine solche wenig mitfühlende Ansicht kann ich im Moment gar nicht brauchen, also sage ich bloß: »Hallo Mutti, ich habe mir ein paar Tage frei genommen. Wollen wir etwas zusammen unternehmen?«
»Wieso hast du dir frei genommen?« Vom anderen Ende der Leitung schlägt mir Skepsis wie ein nasser Putzlappen entgegen. Dabei fällt mir ein, ich könnte ja auch mal wieder putzen. »Ich möchte mich mal wieder meinem Haushalt widmen«, antworte ich. Das glaubt die nie.
»Das glaube ich nicht. Das ist so gar nicht deine Art.« Meine Mutter kennt mich.
»Du hast Recht, wie immer. Nein, es ist wegen des Umbaus in der Bank. Da geht es drunter und drüber, da kommt man eh nicht so richtig zum Arbeiten ...«, sage ich. So ganz gelogen ist das ja nicht. Mein Rauswurf hat ja auch wirklich was mit dem Umbau zu tun.
»Was heißt hier, ich habe immer Recht?«, fragt Mutti, jedoch rein rhetorisch, denn sie redet sofort weiter: »Das will ich ja auch hoffen. Aber jetzt erzähl doch mal von dem Umbau! Das soll ja ganz toll werden, so modern. Mit viel Luft und Pflanzen und so. Hoffentlich kommt endlich dieser schreckliche Teppich weg! Terrakottafliesen wären schön, das würde dem Raum etwas Mediterranes geben. Es soll ja sogar ein Geldautomat aufgestellt werden. So ein Ding ist ja klotzig, das muss man sicher in die Wand einlassen. Was für ein Aufwand. Aber praktisch ist so eine Maschine ja schon.«
Ist sicher praktisch, so ein Geldautomat. Nur blöd, dass er mich meinen Job gekostet hat. Ich bin kurz davor, es Mutti zu erzählen. Zum Glück redet sie ohne Unterbrechung weiter.
»Wir könnten uns etwas Schickes für den Feuerwehrball kaufen. Ich wollte nachher mal im Modehaus vorbeischauen, die haben neue Auswahl bekommen. Da ist für dich bestimmt auch etwas Flottes dabei.«
Bestimmt. Was Flottes. Damit ich beim Feuerwehrball als fescher Feger auftreten kann. Gehe ich überhaupt zum Feuerwehrball? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Lohnt sich auch nicht: Wenn man hier im Dorf wohnt, geht man zum Feuerwehrball. So ist das eben. Ausreden zählen nicht – nur ganz spektakuläre: »Ich stecke in Afrika in einem Sandsturm fest und muss danach wegen Verdacht auf ansteckende Tropenkrankheiten einen Monat in Quarantäne« könnte gelten, wenn nicht klar wäre, dass zur Feuerwehrballzeit niemand in Urlaub fährt. Grundsätzlich nicht. »Stehe unmittelbar vor der Niederkunft meines Kindes« – keine Ausrede. Kinder kann man notfalls auch auf dem Ball bekommen. »Michael Schumacher hat mich zum Abendessen eingeladen« – zählt nicht: »Bring ihn doch einfach mit«, hieße es dann. Und all das hätte mir sowieso niemand geglaubt. Und mit der Wahrheit – »Heiner betrügt mich, ich bin meinen Job los und habe keine Lust, weiterhin heile Welt zu spielen!« – hätte ich nur Verwunderung hervorgerufen. Heile Welt ist in diesem Dorf das beliebteste Gesellschaftsspiel. Beliebter noch als Serviettenfalten, Wohnzimmer dekorieren und Klatsch verbreiten zusammen. Derjenige, der Heile Welt als Brett- oder Computerspiel umsetzen und in den Handel bringen könnte, würde zweifelsohne schnell zu dem werden, was meine Mutter »eine gute Partie« nennt.
Nein, es führt kein Weg daran vorbei: Ich muss mit ins Modehaus gehen und mich dort festlich ausstaffieren lassen.
»Weißt du schon das Neueste?«, fragt meine Mutter dann.
»Nein«, antworte ich, etwas verwundert. Man sollte doch meinen, dass »das Neueste« einem am Anfang eines Gespräches mitgeteilt wird. Als Top-Nachricht sozusagen, wie man
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