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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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das aus der Tagesschau kennt. Aber nicht bei meiner Mutter. Die guckt erstens keine Tagesschau, weil sie die News eines Privatsenders viel »dynamischer« findet, und zweitens hat sie ihre eigene Dramaturgie. »Was ist denn das Neueste?«
    »Der Feuerteufel hat wieder zugeschlagen!« Dramatische Pause. Dann: »Im Nachbardorf ist eine Scheune niedergebrannt. Er treibt sein Unwesen ganz in unserer Nähe! Er zieht seine Kreise enger, und dann ... hach, ich mag gar nicht daran denken!«
    »Woran magst du nicht denken?«
    »Was ich tun würde, wenn unser Haus brennt.«
    »Und was würdest du tun?«, frage ich.
    »Ja, eben, das weiß ich doch nicht. Die Feuerwehr rufen, sicher, aber ich weiß nicht, was ich retten würde – außer deinem Vater natürlich. Der Tresor ist ja feuerfest.«
    »Na, dann ist ja gut. Papa kann sich wahrscheinlich sogar selber retten. Und warum sollte der Feuerteufel gerade euer Haus anzünden?«
    »Soll er ja gar nicht! Aber man weiß ja nie. Wahrscheinlich würde ich die Fotoalben retten. Und ein paar Kleider.«
    Meine Eltern verfügen über elfeinhalb laufende Meter Kleiderschrank. Davon sind ein Meter mit Bettwäsche, eineinhalb Meter mit den Hemden und Anzügen meines Vaters und der Rest mit der umfangreichen Garderobe meiner Mutter gefüllt. Sie besitzt noch diverse Abendkleider aus den siebziger und achtziger Jahren, in die sie, wie sie gerne betont »problemlos hineinpasst«, die sie aber natürlich auf keinen Fall noch mal anziehen würde. Aber, wer weiß, irgendwann wird ja alles wieder modern. Mutti findet die Kleiderschrankaufteilung keinesfalls ungerecht. »Dein Vater hat Doppelmeter«, behauptet sie, wenn man sie darauf anspricht. Die würden eben doppelt zählen. Der Ausdruck »Doppelmeter« ist eine Erfindung meiner Mutter und bedeutet in diesem Fall nichts anderes als zwei übereinander gehängte Kleiderstangen. Soviel zu ihrem Gerechtigkeitssinn.
    Ich verzichte auf die Frage, welches ihrer Kleider sie denn zuerst vor den Flammen retten würde, und höre mir stattdessen ihre Theorien zum Feuerteufel an.
    »Der Täter ist natürlich ein Mann«, analysiert sie, ganz Profi-Profiler. »Frauen machen so etwas nicht. Die schütten ihren Feinden Gift ins Essen. Die wissen, dass Brandstiftung sich nicht lohnt, weil in Deutschland eh alle gut versichert sind.«
    »Aha.« Interessantes Frauenbild, finde ich.
    »Beim Motiv des Täters gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, er hasst seine Opfer und will ihnen was Böses. Aber das ist eher unwahrscheinlich, denn ich sehe keinen Zusammenhang zwischen den bislang niedergebrannten Gebäuden. Was hat der halbverfallene Schweinestall eines alten Bauern mit der neuen Garage des Ferienhauses reicher Leute aus der Stadt zu tun? Da fehlt mir vielleicht das entscheidende Puzzleteil. Oder, und das ist wahrscheinlicher: Er ist einfach fasziniert von dem Element Feuer. Er mag es, wenn es brennt. Vermutlich ist er sogar in der Freiwilligen Feuerwehr.«
    Die präzise Analyse verblüfft mich. Weiß meine Mutter mehr?
    Aber sie schwenkt schon wieder um: »Wenn ich es mir recht überlege, würde ich doch keine Kleider retten. Bloß die Fotoalben, die haben ideellen Wert. Alles andere möchte ich mir lieber neu kaufen. Apropos neu kaufen: Kommst du nun mit ins Modehaus?«
    »Ja«, sage ich. Was soll ich auch sonst machen? Ich will so tun, als sei nichts gewesen. Und das geht in Anwesenheit meiner Mutter immer noch am besten. Erstens bin ich darin geübt, ihr gegenüber nicht allzu viel von mir preis zu geben, und zweitens finde ich es sehr bequem, mich einfach in ihrem Aktionsfluss treiben zu lassen.
    Bevor ich zu Mutti gehe, mache ich es mir noch kurz vor dem Fernseher gemütlich. Das ist wohl der einzige Vorteil meiner Arbeitslosigkeit: Ich kann jetzt auch tagsüber fern gucken. Man sieht ganz andere Sachen. Und das ist ja auch viel lehrreicher als immer nur abends diese Krimis und Unterhaltungsshows. Jetzt läuft zum Beispiel eine Dokumentation, die aussieht, als sei sie auf Super 8 aufgenommen worden, dem Familienfilmformat meiner Kindheit. Ein Hubschrauber kommt ins leicht grisselige Bild geflogen, daran hängt ein großes, orangefarbenes Plastikei. Nein, es ist etwas flacher als ein Ei, ein wenig semmelförmig. Ein UFO aus den sechziger Jahren. Damals hat man sich die Zukunft ja noch ganz anders vorgestellt, viel schicker und eleganter und optimistischer. Heute sehen unbekannte Flugobjekte eher aus wie heruntergekommene Planierraupen, aber damals, als

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