Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
gleichkommt, werde ich davon nichts haben. Ich nehme einen großen Schluck und beiße auf eine halbe Limone. Sauer macht lustig, sagt meine Mutter immer. Funktioniert aber nicht. Nicht bei mir.
»Hast du dich schön mit Monique unterhalten?«, fragt Mutti, als sie zum Stehtisch zurückkommt. Ich kann gerade noch »Och ja, geht so« antworten, da nimmt mich mein Vater an der Hand, murmelt leise »Darf ich bitten?«, und führt mich zur Tanzfläche. Er hat sich eingetanzt, bewegt sich schwungvoll und mich gleich mit. Ich versuche, nicht an Schrittfolgen zu denken - okay, es gibt nur eine: eins-zwei-tap -, und lasse mich einfach führen. Cher ist zu Marianne Rosenberg geworden und intoniert inbrünstig: »Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür! Und ich weiß, er bleibt hier!«, dazu knödelt frenetisch das Saxophon. Hochstimmung im Saal. Ja, die Menschen hier wissen, zu wem sie gehören, und sie wissen auch, dass man dableibt, sobald erst mal ein Türschild montiert ist. Dann geht man nicht so einfach weg. Das gehört sich nämlich nicht. Vielleicht hätten Heiner und ich auch ein gemeinsames Namensschild an der Tür anbringen sollen? So eins aus Fimo oder Salzteig, bei dem die Namen aus ineinander verschlungenen Würsten gelegt werden. Aber ich dachte, es weiß eh jeder, der uns kennt, wo wir wohnen. Und die, die uns nicht kennen, müssen das auch nicht wissen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass das tiefere Auswirkungen auf unsere Beziehung haben würde. Und dann gleich so negative! Hätte ich mal auf Marianne Rosenberg gehört, mein Leben sähe jetzt anders aus.
Mein Vater kurvt mit mir links und rechts und geschickt um langsamere Paare herum. Findet er eine kleine Freifläche, stößt er mich mit einer Hand ab, federt mich am ausgestreckten Arm fort und zieht mich dann wieder schwungvoll zu sich heran. Manchmal baut er noch eine Drehung ein, so wie jetzt, hui, die ist schwungvoll, ich vollführe eine Pirouette um die eigene Achse und mein Rock – o nein! – schwingt tellerartig hoch. Ich kann ihn gerade noch mit der freien Hand hinunterdrücken, sehe dabei aber wahrscheinlich nicht halb so grazil und frivol aus wie Marilyn Monroe über dem U-Bahn-Schacht. Die hatte ja wenigstens eine Unterhose an! Ich komme aus dem Takt und verliere die Balance. Mein Vater fängt einen strengen Blick von mir, wahrscheinlich – hoffentlich! – weiß er nicht, warum, aber er ist klug genug, den kleinen Hinweis zu verstehen und auf weitere Drehungen dieser Art zu verzichten.
Nach einem Von-John-Denver-zu-Chnstina-Aguilera- Medley macht die Band eine Pause, wahrscheinlich muss Cher ihr Kostüm wechseln. Mein Vater und ich gehen zurück zum Tisch, auf dem noch meine Tasche liegt. Ganz allein, denn meine Mutter kommt auch von der Tanzfläche zurück. Das heißt, sie hat wahrscheinlich nicht in meinen Habseligkeiten herumgestöbert. Gut. Sie verabschiedet sich mit einem überdrehten Knicks von ihrem Tanzpartner, dem Bürgermeister.
»Upsala, der konnte sich ja kaum noch auf den Beinen halten, soviel Bier hatte der schon intus«, sagt sie, sobald er aus der Hörweite ist. »Apropos trinken: Kommst du mit in die Sektbar? Ich geb einen aus!« Mein Vater wird mit einer scheuchenden Handbewegung entlassen; aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mit freudigem Gesichtsausdruck auf dem Biertresen zusteuert, an der gerade irgendwer zehn Frischgezapfte bestellt.
Die Sektbar ist eine mit Stellwänden und großen Sonnenschirmen vom Zelt abgetrennte Ecke, die über und über mit Plastikefeu und bunten Lichterketten behangen ist, die eine Atmosphäre zwischen Dschungelcamp und Disco-Fieber verbreiten. In den Regeln des Festwirts , die hier natürlich auch hängen, lese ich:
Die Sektbar
Männer, seid auf der Hut! Eine richtig gruselige Bude, quasi die Abferkelbox im Festzelt. Für Frauen ein Muss, für uns Kerle erst am späten Abend zu ertragen. :-) Hier ist es so voll und so eng, hier bleibst du auch noch stehen, wenn's eigentlich nicht mehr geht. Doch der Preis, den du für die Stehhilfe zahlst, ist hoch: Du musst Sekt aus mickrigen Blumenvasen saufen. :-)
Zum Glück ist es noch nicht ganz so voll. Die Sektbar ist Damengebiet, wie eigentlich das ganze Dorf, mit Ausnahme des Schießstandes, der Feuerwehrautos und des Biertresens. Männer haben ihre eigenen Biotope, in denen sie geschützt ihre Eigenarten entfalten können. Frauen tun so, als lebten sie in kleinen Nischen, aber in Wirklichkeit haben sie von dort aus die Zügel in der Hand.
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