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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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Die Sektbar ist eine solche geheime Kommandozentrale – hier werden Jobs vermittelt, Ehen angebahnt, Autos gehandelt. Wenn sich doch mal ein Mann dorthin verirrt, wird er völlig auf- und ausgesogen. Das ist sowohl im übertragenen Sinne als auch wörtlich zu verstehen.
    Mutti drückt mir einen Sekt in die Hand und integriert uns in eine Gruppe mit ihr befreundeter Landfrauen, die sich über eine feindliche Invasion aufregen. »Das gibt Krieg«, mutmaßen sie, mit leicht drohendem Unterton. Ich wundere mich ein wenig. Bei der Tagesschau habe ich doch extra aufgepasst, die Nachrichten waren die üblichen schrecklichen, aber von einer Invasion, gar einem neuen Krieg, war nicht die Rede. Oder bin ich so durch den Wind, dass mir da etwas Wichtiges entgangen ist? Dabei habe ich mich doch extra vorbereitet, um nicht nur schön, sondern auch klug zu sein, eine gut informierte Gesprächspartnerin eben. Und jetzt das!
    Ich höre erst mal weiter zu, so kann ich nichts falsch machen. Vielleicht ergibt sich später die Gelegenheit für einen intelligenten Einwurf, wenn ich den Sachverhalt erst mal durchschaut habe? Das geht schneller als zunächst befürchtet. Die Damen sprechen nicht über Weltmächte und Schurkenstaaten, sondern über das momentane Top-Eins-Lieblingsthema der Hobbygärtner: die bösartige, blutrünstige, zerstörerische, heimtückische spanische Nacktschnecke. Und natürlich darüber, wie man ihr beikommt. Bierfallen werden heiß diskutiert, doch einigen ist das Bier zu schade. Die meisten bevorzugen den direkten Angriff, mit Salz, Messern und Scheren. Claudias Mutter erwähnt ihren selbstgebauten Flammenwerfer. Das klingt alles so brutal, ich bin richtig froh, dass ich keine Schnecke bin.
    Ich nippe ein wenig beklommen an meinem halben Sekt, dabei habe ich schon das zweite, volle Glas in der anderen Hand. »Silke fährt mit angezogener Bremse«, macht sich eine der Frauen mit einem besonders apart gemusterten Kleid – vermutlich durch Radioaktivität degenerierte Flora in Mint und Violett auf türkisem Hintergrund, darüber ein geometrisch inspiriertes Liniengewirr – über mich lustig. Man darf hier auf keinen Fall zu langsam trinken, das wird nicht gern gesehen, also leere ich das eine Glas in einem Zug, schütte das zweite hinterher, unterdrücke einen Rülpser und gehe zur Bar, um die nächste Runde zu ordern. Während ich auf die sieben Sekt warte, die ich bestellt habe, schaue ich mich in der höhlenartigen, puffbeleuchteten Ecke um. Der Sound der Band dringt sanft gemildert durch das synthetische Dickicht, sie spielen »It's my party and I cry if I want to« , und ich denke noch, wer soll dazu denn in Partystimmung kommen, so ein trauriges Lied, als ich Heiner in einer besonders dicht bewachsenen Plastikefeukultur entdecke. Na endlich! Jetzt kann ich zu ihm gehen und alles wird gut.
    Aber was macht er in der Sektbar?
    Immerhin ist er ein Mann! Und Männer werden hier doch ...
    Im nächsten Moment beugt sich Monique, die ich bisher gar nicht wahrgenommen hatte, zu ihm hinüber, öffnet ihren Mund und beginnt ihn auszusaugen. So jedenfalls sieht das für mich aus, andere mögen es für einen ordinären Zungenkuss halten, was die beiden dort im unzureichenden Schutz der Fake-Flora treiben. Ich hätte es mir ja denken können: Wo etwas wild wuchert, ist Monique nicht weit.
    Mir schießen die Tränen in die Augen. Es ist zwar nicht meine Party, aber ich weine trotzdem. Aber eigentlich will ich gar nicht, ich möchte am liebsten die Fassung bewahren und etwas Spektakuläres tun! Vielleicht sollte ich Heiner ohrfeigen, einen Auftritt à la Alexis aus dem Denver Clan hinlegen, dann würden sich einige hier wundern. Könnte aber auch lächerlich aussehen. Ich bin nicht gut im Ohrfeigen. Nachher treffe ich vor lauter Nervosität noch nicht mal.
    Ich könnte beiden Sekt ins Gesicht schütten. Aber wenn ich da jetzt mit zwei vollen Gläsern hingehe, dann sieht das ja so aus, als wollte ich ihnen eine Runde ausgeben. »You would cry too if this happens to you« , singt Cher, begleitet vom Saxophon. Ich überlege noch, was ich tun soll, als hinter mir jemand – ein Mann! – in die Sektbar gepoltert kommt und laut losbrüllt. Ich drehe mich um –
    – und sehe den Bürgermeister! Er hat einen Blick wie ein waidwundes Tier, jedenfalls glaube ich das, aber ich war noch nie auf der Jagd. Seine Augen sind glasig, von Bier und Tränen, sein Hemd ist durchgeschwitzt, der Schlips fleckig, das Jackett schleift schlapp

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