Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
der Haustür hinaus und ins Carport. Geschickt bewege ich mich im Zickzack, bücke mich, umgehe damit den Bewegungsmelder und verhindere so, dass die flutlichtartige Außenbeleuchtung das Gelände großzügig illuminiert.
Die beiden Tüten schmeiße ich auf den Beifahrersitz des Corsa, schwinge mich hinter das Steuer und lasse den Wagen an. Handbremse los, erster Gang rein und Kupplung kommen lassen. Die Scheinwerfer bleiben mal lieber aus.
Wuuuups.
Irgendwie bin ich in die falsche Richtung gefahren und habe beinahe Schwiegermutters Schnäppchen-Tuja-Hecke niedergemetzelt. Wenn ich jetzt weiter vorwärts fahre, knirscht es ganz gewaltig. Wenn ich wieder auf den richtigen Weg abbiege, kreuze ich den Einzugsbereich einer dieser Flutlichtanlagen und ziehe damit nur unnötig Aufmerksamkeit auf mich. Wenn ich aber stattdessen einmal um das Haus herum fahre, einfach quer über den Rasen, gelingt mir vielleicht eine unbemerkte Flucht.
Aber wo will ich eigentlich hin? Gute Frage. Über diesen Teil meines dramatischen Ausbruchs aus meinem bisherigen Leben habe ich mir noch keinen einzigen Gedanken gemacht. Ein Vier-Sterne-Hotel mit großzügigem Thalasso-Bereich fände ich ja angemessen. Diese Variante hätte einzig und allein den Nachteil, dass mein Budget dann nach höchsten fünf Tagen, eher noch nach fünf Stunden, völlig ausgereizt wäre. Ein entsprechendes Anwesen in einem anderen Land, in das ich mich inkognito hätte absetzen können, besitze ich leider nicht. Ein Königreich für eine eigene Insel! Ich habe mich zwar immer gefragt, warum manche Leute sich ein Privateiland kaufen, mir erschien das immer völlig sinnlos und versnobt, aber jetzt, in diesem Moment, würde ich es zu schätzen wissen. Immerhin weiß ich, wo der Schlüssel zu Brigittes Wohnung liegt. Dort könnte ich mich heimlich einnisten, die Wohnung konspirativ nutzen – so hieß das doch im heißen Herbst, nicht wahr? Doch erstens erwarte ich nicht, dass mein Konterfei demnächst auf einem Fahndungsplakat in der Bank hängen wird (obwohl alle, wirklich alle meine Passfotos so aussehen, als seien sie für keinen anderen Zweck aufgenommen worden), zweitens kann ich mich nicht besonders gut tarnen (und habe keine Lust, mich nur im fragwürdigen Schutz der Dunkelheit nach draußen zu wagen – was ist, wenn ich plötzlich Lust auf Schokolade bekomme, aber gerade keine da habe?), und drittens kommt mir eine Flucht, bei der ich noch nicht mal die Dorfgrenze überquere, ziemlich jämmerlich vor. Obwohl ich gar nicht genau weiß, wo die Dorfgrenze ist. Am Ortsschild vermutlich. Vielleicht sollte ich eins zu Erinnerung mitnehmen. Schon seltsam: Da verbringe ich mein ganzes Leben in dieser kleinen Welt und weiß noch nicht mal, wo sie endet.
Also doch in Brigittes Wohnung. Halt, nein, da fällt mir ein: Da sind ja an diesem Wochenende die Feng-ShuiHandwerker! Die bauen das Bad um, reißen Wände ein, die den Fluss des Chi stören, und machen auch gleich noch ein Space Clearing. Keine Ahnung, was das sein soll. Brigitte hat es mir noch mal genau erklärt, aber ehrlich gesagt habe ich wieder vergessen, wie das genau funktioniert. Irgendwas mit Gong schlagen und in die Hände klatschen. Bestimmt auch mit vielen Räucherstäbchen. Davon wird mir immer schlecht. Also: Lieber nicht in Brigittes Wohnung. Ich würde nur den Energiefluss stören, das Chi verstopfen oder das Karma verärgern. Das will ich nicht riskieren.
Ich könnte mich im Wald verstecken. Mich von Beeren und Pilzen ernähren. Oder von Würmern, falls ich keine Beeren finde. Mit Pilzen sollte ich auch lieber vorsichtig sein, ich kann giftige und ungiftige nicht ganz treffsicher auseinanderhalten. Aber für diesen Plan müsste ich noch mal zurück ins Haus. Im Keller liegt sicher ein Zelt. Aus der Zeit, als Heiner mit seinen Eltern in den Sommerferien immer in Dänemark campen musste. Meistens hat es geregnet. Deshalb riecht das Zelt jetzt, fünfzehn Jahre später, bestimmt ganz schön muffig. Und ich müsste darin die ganze Zeit an Heiner denken. Nein, es geht auch ohne Zelt. Warm genug ist es ja. Ich werde in mein kleines Waldstück fahren, mir ein Lager aus Moos bereiten, eine Hütte aus Zweigen bauen. Meine kleine Heimat. Der Rest, der davon übrig geblieben ist. Bin ich theatralisch? Und wenn schon! Ich werde jetzt autonom. Oder autark. Oder authentisch, oder wie das heißt.
Ich lasse den Motor, den ich beim Heckenanschlag abgewürgt habe, wieder an, schlage das Lenkrad ein, manövriere
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