Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
überlege ich mir: Wenn ich schon hier in der Musterhaussiedlung, pardon, im Massivhauspark probewohne, dann muss ich mich doch nicht auf irgendeines der nächstbesten Durchschnittshäuser beschränken. Ich kann mir das aussuchen, das mir am meisten zu bieten hat. Und das ist ja wohl zweifelsohne die Designervilla. Zwar ist die ausgeführte Variante im mediterranen Landhausstil nicht ganz nach meinem Geschmack, und die vielen Gauben und Erker erinnern entfernt an schlecht sitzende Lockenwickler an einem Bad-Hair-Day, aber wenn ich mich so umsehe, muss ich zugeben: Was Besseres gibt es hier nicht. Also werde ich die nächste Nacht dort verbringen. Ich bin stolz auf mich: Ich habe eine Entscheidung getroffen! Ab sofort werde ich nicht mehr bloß abwarten, was passiert, sondern mein Leben selbst in die Hand nehmen. Mein neues Leben!
Zu meinem Entzücken entdecke ich, dass Frau Nelke und ihr Kollege anlässlich des einjährigen Jubiläums ihres Architektenhauses Würstchen braten. Ein gutes Omen!
Solche niederen Tätigkeiten gehören eigentlich nicht zu meinen Aufgaben!, steht der Musterhausdame deutlich auf der Stirn geschrieben, als sie mir missmutig zwei Portionen Ketchup auf die Thüringer presst. Es sind mehr Luftballons als Gäste bei der Grillparty; wahrscheinlich sieht Frau Nelkes Kollege so luftleer aus, weil er sie alle eigenmündig aufgeblasen hat. Die Luftballons, nicht die Gäste.
Die Wurst hält nicht lange vor, aber zum Glück gibt es einen Supermarkt in der Nähe. Am Zeitschriftenregal entnehme ich der Bunte, dass die Prinzessin sich nun doch von ihrem proletarischen Ehemann getrennt hat, um ein neues Leben zu beginnen. Ich bin versucht, ihr ein »Richtig so, Schwester!« zuzurufen, greife stattdessen aber doch lieber schweigend nach einer Fernsehzeitschrift. Mein Gott, das hätte ich ja fast vergessen! Heute Abend läuft die Endausscheidung des Grand Prix Eurovision de la Chanson! Der Grand Prix, oder wie es jetzt neumodisch heißt: der Eurovision Song Contest. Das wichtigste TV-Ereignis des Jahres hätte beinahe ohne mich stattgefunden! Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass mein Luxus-Fertighaus mit einem funktionstüchtigen Fernseher ausgestattet ist.
Ein Grand-Prix-Abend ohne die richtige Verpflegung ist ähnlich undenkbar wie ein Schlagerwettbewerb ohne Ralph Siegel. Das Essen muss bestimmten nostalgischen Standards entsprechen, nichts Modernes, nichts, was man hierzulande in den siebziger Jahren noch nicht kannte, aber doch etwas mit einem Hauch Gediegenheit und Exotik, dem Geschmack der großen weiten Welt. Um es kurz zu machen: Toast Hawaii ist perfekt. Ein zeitloser Klassiker. Mit Dosenananas und einzeln verpackten Schmelzkäsescheiben. Ich kaufe alle Zutaten ein, packe noch ein paar Päckchen Erfrischungsstäbchen dazu und hole meine Reisetüten aus dem Carport.
Es ist fast 16.00 Uhr, eine gute Zeit für die Umsetzung meines Drei-Stufen-Plans.
Stufe 1:
Einschleusen!
Das gelingt mir hervorragend. Zugegeben, das ist der einfachste Teil des Plans. Das Designerhaus dürfen Normalsterbliche nicht einfach so betreten, selbst, wenn sie gesteigertes Kaufinteresse vortäuschen. Nein, man muss sich zuerst in ein völlig überhitztes Zelt begeben, in dem fünfzehn unbequeme Klappstühle, ein Flachbildfemseher und zwei Ventilatoren stehen. Letztere drehen sich auf höchster Stufe und erzeugen im Zeltinneren ein kuscheliges Umfluftbackofenklima. Besorgt um die Haltbarkeit der Kochschinkenscheiben und die Formstabilität des Scheiblettenkäses in einer meiner drei Tüten, und wohl wissend, dass ich mit diesen Accessoires nicht wie die klassische Villenkäuferin aussehe, nehme ich in der hinteren Stuhlreihe Platz und gebe mich der perfekt inszenierten Werbeverkaufsveranstaltung hin. Zunächst werden die anderen Backofeninsassen und ich mit einem so genannten Image-Film gefügig gemacht, denn, so behauptet der anwesende Musterhaus-Fachverkäufer, der so glatt wirkt wie diese langen glibschigen Fische, die ich gerne geräuchert esse: »Für ein richtiges Erlebnis braucht man Information!«
Der Streifen besteht hauptsächlich aus Überblendungen von einem Stilleben aufs nächste, dazwischen räkelt sich die Designerin behaglich auf einem Sofa in der zu ihrer Haarfarbe passenden Wohnfarbe. Der Verkäufer informiert uns, dass es sich dabei nicht etwa um den Ton Golden Retriever handelt, wie ich angenommen habe, sondern um Florentinisch Creme . Ich denke bei solchen Wörtern unweigerlich an
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