Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
die Häuser sind, wenn auch nicht alle besonders geschmackvoll, immerhin vollständig und funktionstüchtig eingerichtet, wenn man mal von diesen Nicht-benutzen-Banderolen um die Toilettendeckel absieht. Aber es gibt bestimmt irgendwo einen Haupthahn, den man nur aufzudrehen braucht. Ich werde meine äußerst fragwürdige Zukunft testen, sie heimlich anprobieren wie ein Hochzeitskleid. Und außerdem werden sich meine Chancen, dem charmanten Fertighausverkäufer wie zufällig über den Weg zu laufen, um ein Vielfaches erhöhen. Also los! Herr Wesseltöft, ich komme!
Ich zwänge mein Fahrrad wieder durchs Gebüsch. Die ungebändigte Natur kann einem das Leben ganz schön schwer machen, denke ich, als mir ein zurückschnellender Ast gegen den Kopf schlägt. Aua! Dabei fällt mir etwas ein. Ich sehe an mir hinunter. Nein, kein schöner Anblick. Das Ibiza-Kleid sieht wenig urlaubsfrisch aus, und von meinen Beinen bröckelt der Moder aus Heiners Baugrubenbiotop. So kann ich keinem Menschen unter die Augen treten. Und schon gar nicht Herrn Wesseltöft.
Ich schlage mich zu dem kleinen Bach durch, der durch mein Wäldchen gluckert. Es ist kaum mehr als ein Rinnsal, aber zumindest besteht nicht die Gefahr, dass ich in ihm ertrinke.
Das Wasser ist eiskalt. »Nein, Silke – es ist frühlingsfrisch!«, ermahne ich mich streng und beginne, mich so gut wie möglich zu waschen. Bibbernd trockne ich mich dann mit einem T-Shirt ab und schlüpfe in eine frische Jeans und eins meiner Lieblingsshirts. Erstaunlicherweise fühle ich mich viel besser als vorher. Ich fahre mir sogar mit den Fingern durch die nassen Haare, um sie etwas zu ordnen. Mutti wäre stolz, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter endlich zum Bürsten übergegangen ist.
Die Häuser in der Musterhaussiedlung sehen aus wie aus Lego: ähnlich, und doch jedes anders. Lego habe ich als Kind geliebt. Ich konnte stundenlang damit spielen und war zu Weihnachten immer selig, wenn es neue Steine gab. Die weißen waren am wichtigsten, denn die brauchte ich für die Wände meiner selbst entworfenen Häuser. Dass jemand mal ernsthaft auf die Idee kommen könnte, genau diese Häuser maßstabsgerecht zu vergrößern und zu bauen, hätte ich mir nie träumen lassen. Aber wie das mit Träumen, die in Erfüllung gehen, eben so ist: Es ist nicht so, wie man sich das vorgestellt hat. Obwohl sie in Wirklichkeit natürlich viel kleiner waren, kamen mir die Lego-Häuser meiner Kindheit viel größer, geräumiger und prachtvoller vor. Das waren die Originale, diese hier sind nur ein dünner Aufguss von dem, was ich mir damals in meiner Phantasie ausgemalt habe.
Auf dem Rad kurve ich einmal durch die ganze Siedlung, vorbei an dem Architektenhaus von Frau Nelke, an einem Winkelbungalow, einem Nur-Dach-Haus, dem Haus Edeltraut , der Musterhalle in der Mitte der Musterhaussiedlung und dem Kellergewölbe von Herrn Kurz. Das dunkle Glas-Balken-Wunder von Herrn Wesseltöft sieht aus, als hätte es Heimweh nach dem Schwarzwald.
Ich sehe mich weiter um und vertreibe mir die Zeit, in dem ich in jedes einzelne Musterhaus gehe und mich prüfend umsehe.
Als ich mit Mutti hier war, gab es am Ende des Parks noch eine Baustelle. Eine sehr ungewöhnliche Baustelle allerdings, ich dachte erst, dort würde ein Zirkus gastieren: Ein hoher Bauzaun umgab ein gigantisches Zelt, in dem es dröhnte, rumorte, hämmerte. Nun ist das Zelt weg und der Bauzaun durch einen ebenso hohen, ebenso abweisenden, aber immerhin blickdurchlässigen Metallzaun ausgetauscht worden. Dahinter prangt und leuchtet und protzt ein neues Haus. Nicht irgendein beliebiges Haus, sondern ein Designerfertighaus. Eine berühmte Modedesignerin hat es entworfen. Es sieht nicht aus wie ein Pulli, sondern eher wie eine dieser überdimensionierten Fincas, die deutsche Prominente immer auf Mallorca bauen und dann wieder abreißen müssen, weil sie keine Genehmigung dafür hatten.
Ich parke mein Fahrrad in einem Carport und klemme die Tüten auf den Gepäckträger. Die sehen so schäbig aus, die klaut hier niemand.
Auf der Suche nach meinem neuen Wohnsitz gerate ich in die Fänge von Herrn Schrumpf – Oder hieß er Klein? Kurz? Irgendetwas Mickriges auf jeden Fall! – und muss mit gefühlte drei Jahre lang Vorträge über den Sinn und Zweck muffiger Kellerräume anhören. Leider bin ich nicht so rabiat wie meine Mutter und kann erst entkommen, als sich frischer aussehendes Kundenpotential nähert. Während seiner erschöpfenden Ausführungen
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