Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Nachtisch.
Eingelullt von der Hitze und dem Filmchen beginne ich zu phantasieren. Ich sehe mich und Heiner im Wintergarten unseres Winkelbungalows sitzen, ich schenke Kaffee ein – für Heiner mit zwei Stück Zucker und einem kleinen Schuss Milch, das ist mir nach dreiundzwanzig Ehejahren so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich keine Sekunde mehr darüber nachdenke –, rühre in meiner Tasse und denke, dass ich die Geranien gießen müsste. Was Heiner denkt, weiß ich nicht. Ich könnte ihn fragen, traue mich aber nicht. Wir haben uns nach der Affäre mit Monique wieder versöhnt und schnell geheiratet, aber ein leichtes unterschwelliges Misstrauen ist geblieben. Doch das Haus und die gemeinsamen Anschaffungen halten uns zusammen. Die Fassade stimmt. Wir gelten als vorbildliches Paar. Einen Job habe ich nicht wieder gefunden, aber als Heiners Frau habe ich es auch nicht nötig, zu arbeiten. Heiner hat die Opelhandlung seines Vater übernommen, dort helfe ich manchmal in der Buchhaltung. Kinder haben wir keine. Heiner hat seinen und meinen Eltern erzählt, ich sei unfruchtbar, aber die Wahrheit ist, dass wir nie wieder miteinander geschlafen haben. Ich finde meine Erfüllung im kreativen Gestalten, besuche Kurse an der Volkshochschule – Makramee ist wieder stark im Kommen, ich habe schon ein paar Blumenampeln geknüpft – und treibe Sport. Ich weiß, das habe ich früher nie getan, aber meinem Körper tut das gut. Ich trage seit über zwanzig Jahren die gleiche Konfektionsgröße und so ziemlich auch dieselben Sachen, denn Heiner ist mit dem Kleidungsgeld nicht sehr großzügig. Manchmal esse ich nachts drei oder fünf oder sieben Tafeln Schokolade, dafür stehe ich sogar auf . Heimlich. Danach ist mir schlecht und ich muss mich in der Gästetoilette übergeben. Ansonsten geht es mir aber sehr gut. Wir lassen uns unsere Freiheiten. Ich gehe in meine Kurse und er – ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wohin er geht. Manchmal nagt dieses Nichtwissen an mir und ich bekomme Kopfschmerzen, die mich tagelang nicht loslassen. Aber das gehört wohl dazu ...
Ich komme wieder zu mir, als die Designerin am Ende des Films in die Kamera seufzt: »Ich bin so traurig, dass das nicht mein Haus ist!« Fast tut sie mir Leid. Doch ehe mir ein paar mitfühlende Tränchen die Wangen herunterkullem können, redet der glatte Conférencier, der trotz seines dreiteiligen Anzugs kein bisschen zu schwitzen scheint, von Begehrlichkeiten, die geweckt werden sollen. Mir kommt das Wort ein bisschen komisch vor, besonders in Zusammenhang mit einem Haus, aber was weiß ich schon über Begehren? Ich fühle mich intellektuell und emotional überfordert. Doch ich muss durchhalten, denn ich will da rein. Deshalb versuche ich, den transpirationsfreien Mann telepathisch ins Haus zu bewegen. Er reagiert, ich und die anderen benommenen Gestalten, bei denen mehr oder eher minder Begehrlichkeiten geweckt wurden, dürfen sich erheben und ihm folgen. Die Dame vor mir trägt Minirock und hat von der Sitzfläche des Klappstuhls ein interessantes Muster auf der Rückseite ihrer bloßen Oberschenkel.
Das Haus, dieses »ultimative Produkt«, wie der Dreiteiler es nennt, lässt sich angeblich per Mobiltelefon steuern, deshalb tippt er hektisch auf die Tasten eines winzigen Exemplars ein, während wir über den langen, staubigen, aber zweifelsohne repräsentativen Kiesweg knirschen. Ich frage mich, was das soll. Was will er denn da steuern? Vor der Haustür, die keine normale Haustür ist, sondern ein Portal oder »die Pforte zum Glück«, wie Herr Nichtschwitz behauptet, hält er noch eine kurze Rede über Begehrlichkeiten, Wünsche und Erfüllung, und berührt dann mit seinem langen, spitzen Zeigefinger eine kleine schwarze Fläche rechts neben der Tür, die daraufhin geräuschlos aufschwingt. Es ist, als würde das Haus ihn verschlucken wollen. Dazu spielt Musik, ein klassisches Stück, das ich schon mal in einer Fernsehwerbung gehört habe, und alle Lichter gehen an. Ein beeindruckender Effekt.
»Biometrik«, triumphiert der Mann mit dem magischen Finger.
»Und was mache ich, wenn ich mal nach Hause komme und keine Musik hören will?«, fragt eine Frau, die mich sehr an meine Mutter erinnert. »Mein Mann und ich, wir sind da sehr empfindlich!«
»Sie können diesen Effekt natürlich auch ausstellen«, antwortet der Designhausexperte, zieht fast unmerklich – er ist ja Profi – einen Flunsch und tippt wieder auf sein Mobiltelefon ein. Die Musik
Weitere Kostenlose Bücher