Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Farbe? Ist Lüneburg nicht einen Tick heller als Büsum? Schwer zu sagen. Vielleicht ist das einzige Distinktionsmerkmal wirklich der Preis? Oldenburg wirkt insgesamt grober, Celle sandiger, Westerland changiert mehr ins Bläuliche. Ich versuche mir die namensgebenden Orte vorzustellen. Fühlt man sich in einem Lüneburg -geklinkertem Haus dann immer so wie in der putzigen Kleinstadt, die ganzjährig wie ein Adventskalender aussieht und nach Plätzchen zu duften scheint? Was für Auswirkungen haben Farbe und Struktur des Klinkers auf die Beziehung der Bewohner? Und wie weit sind Herr Wesseltöft und ich letzte Nacht gegangen? Ich kann mich wirklich an nichts, an rein gar nichts erinnern. Mein Gehirn ist blank wie das Silberpapier einer Zartbitterschokolade mit fünfundsiebzig Prozent Kakaoanteil, fünf Minuten, nachdem sie mir in die Hände gefallen ist. Außerdem dröhnt mein Kopf immer noch so, als würde die Brachfläche mit einer Planierraupe bearbeitet. Auf dass dort nie wieder ein zartes Pflänzchen des Erinnems keimen möge. Nie wieder Alkohol, nehme ich mir vor, lasse aber die Option offen, diesen Vorsatz auf Nie wieder Eierlikör einzuschränken. Mit ein paar Ausnahmeregelungen vielleicht, zum Beispiel: Eierlikör nur noch in unmittelbarer Verbindung mit Walnusseis oder Schokoladenpudding oder Brownies oder auf einer Torte oder ... Ich will mich da noch nicht so genau festlegen. Aber natürlich denke ich lieber über Eierlikör nach als über Herrn Wesseltöft, der übrigens schon drei Minuten zu spät ist. Denn das könnte ja unangenehm werden. Zu Enttäuschungen führen. Dabei haben wir uns doch so wunderbar verstanden! Ich weiß, er ist der Richtige! Ich will gar nicht mehr über ihn wissen, ich will einfach nur mit ihm zusammensein, alles andere kann ich mir ja herbeiphantasieren, wie es mir gerade in den Kram passt. Ein Mann vom Holodeck, nach meinen eigenen Ideen gestaltet, ja, das wär's doch! Aber dafür ist es wohl zu spät. Um diese Illusion aufrecht zu erhalten, hätte ich nie mit Herrn Wesseltöft reden dürfen, nie mit ihm gemeinsam den Grand Prix gucken und vor allem nie Eierlikör trinken dürfen.
Andererseits: Würde ich auf diesen, soweit ich mich erinnere, grandiosen Abend in meinem ja nicht gerade prall gefüllten Erlebnisschatzkästchen verzichten wollen? Nein. Und da taucht er auch schon auf, der Herr Wesseltöft, neben dem Fliesenmuster Friesland, zur Rechten ein mit durchsichtigen Glaskieseln gefülltes Glasbecken, über dem der Einhandhebelmischer Amrum schwebt.
»Ach, hallo«, sage ich, als würden wir uns ganz zufällig hier treffen, und setze mich auf den Rand des Glasbeckens, der sehr unbequem ist und bestimmt einen fiesen Abdruck auf meinen Pobacken hinterlässt.
»Das war ein schöner Abend gestern«, beginnt Herr Wesseltöft. Das hört sich so formell an. Will er mich nicht küssen? Ich neige den Kopf etwas zu ihm hin, doch er macht keine Anstalten, sich mir zu nähern. Anscheinend ist er nicht am Austausch von Zärtlichkeiten interessiert.
»Mmm-hm«, mache ich zustimmend. Aber?
»Ich meine das ernst: Das war wirklich toll. Sie sind eine wunderbare Frau! Ich bin völlig von ihnen fasziniert«, süßelt er weiter.
Aber? »Ja«, sage ich, und: »Schön.« Dann steht ja einer gemeinsamen Zukunft nichts im Wege. Aber irgendwas läuft falsch. Hier ist der Wurm drin. Oder bin ich nur keine Komplimente mehr gewohnt?
»Und ich glaube, dass wir sehr gute Freunde werden könnten – das wir vielleicht schon Freunde sind.«
Freunde? Ich will immer noch knutschen! Deshalb frage ich ungläubig: »Freunde?«
»Ja«, sagt Herr Wesseltöft, »Sie wissen schon: Menschen, denen man alles anvertrauen kann. Die immer für einen da sind. Da haben Sie doch bestimmt schon mal von gehört.«
Ja, habe ich. Das ist aber kein Grund, das hier ins Komödiantische zu ziehen. »Haha«, lache ich bitter.
»Das habe ich mir gedacht«, sagt Herr Wesseltöft leise und spielt nervös an der Armatur herum. Ein scharfer Wasserstrahl attackiert die gläsernen Kiesel.
»Was?«
»Das Sie vielleicht etwas anderes wollen. Dass Sie mehr wollen. Gestern haben Sie versucht, mich zu küssen.«
»Und, ist es mir gelungen?« Die Frage platzt einfach so aus mir heraus. »Ich kann mich nämlich nicht erinnern«, gebe ich zu.
»Naja, wenn das so ist«, sagt Herr Wesseltöft. »Also, gelungen ist es Ihnen schon. Gewissermaßen. Aber was ich Ihnen eigentlich sagen wollte ...«
Ich liebe Sie. Ich verzehre mich nach
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