Schlüsselherz (German Edition)
verstand.
Abbys Nadelstiche peinigten sie noch immer, bald glaubte sie, ihr Unterarm und die Hand steckten in heißer Glut – aber nah an sein Herz gedrückt ertrug sie es irgendwie. Auf skurrile Weise fühlte es sich gut an, von ihm gehalten zu werden, selbst wenn dabei jemand ihren Arm zusammennähte. Sie spürte ein paar Tränen in sein Hemd sickern und wenn es zu sehr wehtat, drückte sie das Gesicht in den Stoff und stöhnte leise, bis ihr Atem seine Brust wärmte.
Als Abby den letzten Faden verknotet hatte, schob Valender sie sanft wieder in die Aufrechte. Er war bleich geworden, als hätte er unter der Prozedur ebenso gelitten wie sie.
„ Danke“, flüsterte sie ihm zu. Wie auch immer er es angestellt ha t te, aber er hatte ihr, wenn auch nicht die Schmerzen, so doch die Angst genommen.
Valender sprang auf und strich seine Kleider glatt. Plötzlich schien er es eilig zu haben, Abstand zu ihr zu schaffen. Verdammt, sie hatte sich gehen lassen. Sie hatte ihn brüskiert.
„ Auch Ihnen möchte ich danken“, sagte sie an Abby gewandt, aber die Frau sah an ihr vorbei, als wäre sie gar nicht anwesend.
„ Ich schreib es auf die Rechnung“, sagte sie nüchtern zu Valender und räumte ihre Utensilien weg. Die Nadel und den Rest des Garns warf sie neben dem Herd in den Mülleimer.
Cera presste die Lippen zusammen. Sie war abfällige Reaktionen gewöhnt, aber sie von jemandem ins Gesicht geschmiert zu beko m men, der ihr gleichzeitig half, das war neu. Es missfiel ihr, es missfiel ihr so sehr, dass sie sicher war, in den nächsten Tagen ständig Abbys kühle blaue Augen auf sich ruhen zu spüren. Eine Anklage im Blick, auf die sie nichts erwidern konnte, weil sie sie nicht verstand.
„ Noch einmal meinen herzlichen Dank“, sagte sie, stand auf und griff nach ihrem Cape. „Sie haben sehr ordentliche Arbeit geleistet, man sieht kaum noch eine Naht. Ich muss dann jetzt gehen.“
Valender nickte bloß, er machte nicht einmal den kleinsten Ve r such, sie aufzuhalten oder ein neues Treffen zu vereinbaren. Es sol l te sie nicht wundern. Vermutlich hatte er ihre Aufregung wahrg e nommen, ihre Gefühle durchschaut und wusste nun nicht, wie er ihr erklären sollte, dass sie seine Reaktion völlig falsch verstanden hatte.
Ach, ihr dummes, dummes, mechanisches Herz. Was hatte es da nur angerichtet?
Cera rannte die Treppen hinab und stürmte ins Freie, doch nicht einmal die frische Luft kam gegen die düstere Wolke aus enttäusc h ter Hoffnung an, die plötzlich über ihr schwebte. Sie versuchte, ihre Gedanken ins Reine zu bekommen, ihr Herz zum Schweigen zu bringen. Am liebsten wäre sie zu Mrs Keyman gelaufen. Vor wen i gen Stunden erst hatte ihr diese den Schlüssel am Rücken angesetzt und ihr Uhrwerk aufgezogen. Ihr neues Leben geschenkt, wie sie es beide nannten, noch bevor Ceras Mechanik ablief und zum Stillstand kam. Wie jeden Morgen hatte Mrs Keyman Cera danach die Haare gekämmt, wie eine Mutter ein kleines Mädchen kämmte, und ihr für den Tag Sonnenschein und Wärme gewünscht. Cera hatte sich so wohl gefühlt. Geborgen und beschützt, als könne die Welt ihr nach ihrem kleinen, täglichen Ritual nichts mehr anhaben. Sie hatte sich nicht im Traum vorstellen können, wie kalt der Tag werden würde.
Eine Ablenkung – das brauchte sie nun. Und sie wusste auch schon, wie sie das schaffen konnte.
Sie würde diesem Lügenbaron Nathaniel Charles gehörig an den Karren … nun ja, was man halt an Karren machte. Sie würde herau s finden, was er verbarg, und es ihm mit Genuss aufs Brot schmieren, wenn sie ihn durchschaut hatte. Ja, genau danach stand ihr nun der verletzte Sinn. Mit einem unglücklichen, kühlen Lächeln machte C e ra sich auf den Weg zur London Times.
***
Nathaniel wollte sich in seinen Kaffee übergeben.
Alles, was ihn davon abhielt, war die Tatsache, dass Miss Cera nicht zum Treffpunkt gekommen war und mit jeder Minute, die ve r strich, die Wahrscheinlichkeit stieg, dass er das Dritte Auge doch nicht würde öffnen müssen.
Ein älterer Herr mit Spazierstock und einer Zeitung unter dem Arm trat an seinen Tisch, nickte ihm zu und setzte sich ihm gege n über, obwohl weiter hinten im Café noch Tische frei waren. Er mu s terte Nathaniel, als läge ihm eine wichtige Frage auf der Zunge.
Nathaniel blicke wortlos zu ihm auf.
„ Ist das Ihr Pferd, dort draußen?“, fragte der Mann.
„ Das Schwarze? Das ist die größte Hoffnung der hiesigen Sar g bauer, Sir. Aber ich sitze
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