Schluß mit cool (German Edition)
haben?«
Einen Moment lang dachte sie, ihr Nachbar würde aufstehen und einen Streit anfangen – betrunken genug war er zweifellos –, aber zum Glück endete die Konfrontation damit. Das Flugzeug ruckte, als das schwere Fahrwerk einrastete, der Mann mit dem Ballonkopf drehte sich um und sank schwerfällig in seinen Sitz, und vor den Fenstern kam langsam gleitend wieder Los Angeles in Sicht, ein stumpfbraunes Gitternetz aus Straßen, das auf dem Boden eines schlierigen Luftmeers versunken dalag. »Haben Sie das gehört?« wollte der Mann neben Ellen von ihr wissen. »Haben Sie gehört, wie der mich genannt hat?«
Ellen blickte stur geradeaus, steif wie eine Katatonikerin. Sie spürte, wie er sie von der Seite her anstarrte. Sie konnte ihn riechen. Und alle anderen auch. Sie zog die Schultern ein und stieß zugleich alle Luft aus den Lungen, als könnte sie in sich zusammenfallen, zu einem Nichts schrumpfen und einfach verschwinden.
Der Mann neben ihr rutschte schwer auf seinem Sitz herum und murmelte jetzt vor sich hin. »Höflichkeit«, fauchte er, »ganz normale Höflichkeit«, immer wieder, als wären das die einzigen Worte, die er kannte. Ellen legte den Kopf zurück und schloß die Augen.
Es gab die übliche Warterei am Boden, das endlose Herumrollen, das Gerangel beim Öffnen der Gepäckluken, die dichtgedrängte, rinderherdenartige Schlange, die sich durch die Gänge und dann in das Stahlrohr wälzte, durch das man zum Flugsteig gelangte. Ellen kam zentimeterweise vorwärts, hielt den Kopf gesenkt, die Schultern eingefallen, die Umhängetasche war wie eine Kanonenkugel in einer Schlinge, und ließ sich mit der Masse in die brodelnde Arena der Ankunftshalle treiben. Sie war seit fünf Uhr wach, hatte noch im Dunkeln den Shuttlebus zum Flughafen bestiegen, sich auf den unbequemen Sitzen eineinhalb Stunden lang im morgendlichen Stoßverkehr durchrütteln lassen und an einer der Flughafenbars einen trockenen Bagel zu sechs Dollar und einen Espresso zu drei fünfzig hinuntergewürgt; dann folgte das lange Warten auf die verspätete Maschine: zerlesene Zeitungen, überfüllte Toiletten und das schale Bier. Nun war sie wieder da, wo sie angefangen hatte, eine Angestellte der Fluglinie schrieb ihr Ticket um und dirigierte sie in Richtung eines fernen Flugsteigs, an dem sie die nächste Maschine zum Kennedy Airport erwischen sollte, wo ihre Mutter sie erwartete. Ob es ein Direktflug war? Leider nicht, sagte die Angestellte. Sie müßte in Chicago umsteigen und würde dort zwei Stunden Aufenthalt haben. Und obendrein gab es noch Schlechtwetter: ein heftiger Windsturm peitschte den Mittelwesten und bewegte sich langsam, aber sicher auf New York zu, so daß er höchstwahrscheinlich bei ihrer Ankunft ausbrechen würde.
Sie bewegte sich wie ein Roboter durch die Gänge, zählte im Vorbeigehen die Flugsteige. Der Flughafen wurde gerade renoviert – ein Dauerzustand, wie es schien –, und weiter vorn verengten Preßspanwände die Korridore zu wahren Treibgattern. Man hatte hier Sichtbeton unter den Füßen, und alles war von einem feinen Staubfilm bedeckt. Sie blickte besorgt auf die Engstelle vor sich – es blieben ihr nur zehn Minuten, um ihren Flug zu erreichen –, und sie verlagerte gerade die Umhängetasche von der linken auf die rechte Schulter, als ihr von hinten ein Stoß versetzt wurde. Eigentlich mehr als ein Stoß – wäre die Frau vor ihr nicht gewesen, hätte sie auf dem unebenen Boden wahrscheinlich den Halt verloren und wäre gestürzt. Im Aufblicken sah sie den Mann vorbeihasten, der auf dem verpatzten Flug neben ihr gesessen hatte – wie sollte sie ihn nennen: Pierce Lippski? Baiserkopf? –, während sie sich an der Frau festhielt und murmelte: »Verzeihen Sie, tut mir sehr leid.« Er schenkte ihr nicht einmal einen Blick, geschweige denn ein Wort der Entschuldigung. Er lief einfach weiter, ein Paar Schultern in einer Art Sportjackett, sein birnenförmiger Hinterkopf in der Zange einer kaum wahrnehmbaren Tonsur kurzer Stoppeln, eine Tasche umgehängt, die zu groß für ein Flugzeuggepäckfach war und wie eine Waffe an seiner Seite schwang.
Am Flugsteig sah sie ihn wieder – er stand an der Spitze der Schlange, einen Kopf größer als alle übrigen –, und was tat er da? Es waren noch mindestens zwanzig Leute vor ihr, und der neue Flug sollte in drei Minuten abheben. Der Kerl stand dort vorn wie angewurzelt, wedelte dem Angestellten der Fluglinie sein Ticket ins Gesicht und gestikulierte
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