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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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Nein, er hatte durchaus recht gehabt – er konnte nichts tun, als sich zu gedulden, gemütlich ein gutes Buch zur Hand zu nehmen und, nun ja, abzuwarten, wie die Dinge sich entwickelten, also streifte er den Mantel wieder ab, setzte sich zurück aufs Sofa und wollte eben das Buch in die Hand nehmen, als er die Dielen im Korridor knarren hörte und aufsah.
    In der Tür stand Bern, ihre Arme hingen herab. Der primitive Schein des Feuers traf ihr Haar, so weißes Haar, daß er an den Tod denken mußte, und sie hob ihm die Handflächen entgegen, eine demütige Geste der Unterwerfung, Freundschaftlichkeit und auch Verzauberung. »Buck ist eingeschlafen«, sagte sie.
    »Schon?« Das Buch lag auf seinem Schoß, sein linker Zeigefinger markierte die Seite. »Das ging aber schnell.«
    »Es war eine lange Fahrt.«
    »Ja«, sagte er und wußte nicht recht, warum er es sagte, »ja.« Draußen wurde der Wind plötzlich stärker, pfiff um die Ecke des Hauses und ließ kompakte Schneekugeln gegen die Fensterscheiben prasseln.
    Sie war jetzt eingetreten, stand abwartend vor dem Sofa. »Ich war einfach... ich meine, ich bin überhaupt noch nicht müde, und ich dachte, es wäre vielleicht nett, einfach beim Kamin zu sitzen, wissen Sie... ein Weilchen jedenfalls.«
    »Klar doch«, sagte er, und sie hockte sich ans Feuer und warf den Kopf zurück, um ihr Haar zu bändigen, und es verstrichen Minuten – fünf, zehn, er wußte es nicht genau –, ehe sie erneut sprach. Er hatte gerade die Seite im Buch wieder aufgeschlagen, als sie sich umwandte und leise murmelnd sagte: »Buck hat in letzter Zeit große Depressionen. Also, ich meine, im medizinischen Sinne.«
    Ihr Gesicht war groß und schön, mit hoher Stirn und der Nase einer Richterin – oder einer Dichterin. Es warf ihn geradezu um, dieses Gesicht, das da schön und ungewohnt wie eine Erscheinung in seinem Wohnzimmer schwebte, und er wußte einfach nichts auf ihre Bemerkung zu sagen. Der Schnee knisterte gegen die Fenster. Der alte Hund entließ einen hörbaren Furz. »Er kann doch nicht...« begann John, aber dann brach er ab. »Was meinen Sie mit Depressionen? Wie? Warum?«
    Sie hatte ihn angesehen, ihren klaren, stetigen Blick auf ihn gerichtet, der alles mögliche auszudrücken schien – Erotisches, Verrücktes –, jetzt aber schlug sie die Augen nieder. »Er glaubt, daß er sterben wird.«
    Etwas schnappte nach ihm, tief in seinem Innern, doch er achtete nicht darauf. Eigentlich hatte er sagen wollen: »Das ist ja lächerlich«, wählte dann aber eine lockere Form der Antwort. »Nun, das stimmt auch«, sagte er. »Ich meine, es ist eine sehr rationale Befürchtung. Wir alle werden sterben.« Er starrte ihr in die Augen, ein Pfeiler der Stärke und Weisheit. »Irgendwann jedenfalls«, fügte er hinzu und probierte ein Lächeln. »Sehen Sie mich an – ich bin schon fünfzig. Aber Buck – ihr jungen Leute, alle beide – worüber müßt ihr euch Sorgen machen? Das ist noch lange hin. Denkt nicht daran, amüsiert euch, tanzt zur Musik des Lebens.« Tanzt zur Musik des Lebens ? Der Satz war ihm nur so eingefallen, und jetzt kam er sich leicht albern vor, etwas sonderbar, zugleich aber auch verführerisch und weise, und so voller, voller Liebe und vielleicht voller Angst, daß er kurz davor stand, vom Sofa aufzustehen und sie zu umarmen.
    Das Problem war nur, daß sie nicht mehr da war. Sie hatte etwas gehört – und er hatte es auch gehört, einen Aufschrei von Buck, der Wind war wie mit Krallen über die Fensterscheibe gefahren –, hatte sich lautlos erhoben wie ein Gespenst und war lautlos in die schwarze Öffnung des Korridors entschwunden. John sah sich eine Zeitlang um und lauschte auf die leisesten Geräusche. Der Schnee knisterte gegen das Dach, die Dachrinnen, die Fensterrahmen. Der Hund ächzte im Schlaf. Sein Blick senkte sich geistesabwesend, und er sah das Buch auf seinem Schoß, blätterte mit einer lässigen, selbstverständlichen Geste die Seite um und begann wieder zu lesen.
    Ich hatte nie Kinder haben wollen – es war hart genug gewesen, der Vater meiner sich verjüngenden Eltern zu sein, und ich hatte mir geschworen, diese Erfahrung niemals zu wiederholen. Sonia teilte meine Einstellung, und wir trafen Vorkehrungen, um auf jeden Fall eine Empfängnis zu verhüten, besonders als sie hinablebte und ihre Menstruation wieder einsetzte. Ich hatte zugesehen, wie meine geliebte Mutter zur Größe einer Puppe, eines Handschuhs, einer Eichel geschrumpft war, bis zu

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