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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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Becher. Sie spürte es, kein Zweifel, doch welchen Unterschied machte es schon, ob sie nun betrunken oder nüchtern war, wenn sie durch die labyrinthartigen Korridore von Chicago O’Hare wanderte, endlos verspätet durch Schnee, technische Störungen, die Horden aus aller Welt unterwegs nach überall? War doch egal, wieviel Schlagseite sie dabei hatte – sagte man das nicht für »betrunken«? Und was genau sollte das heißen? Irgendein Matrosenausdruck wahrscheinlich, etwas aus den Tagen der alten Karavellen, als man sich kotzend von einem Ort zum anderen bewegte.
    Es wurde Zeit fürs Essen. Die Stewardeß mit dem breiten Gesicht beugte sich wieder vertraulich vor, diesmal mit der ewigen Frage – »Hühnchen oder Pasta?« – auf den Lippen. Ellen hatte keinen Hunger – Essen war das letzte, was sie wollte –, doch aus einem Impuls heraus wandte sie sich an ihren Nachbarn. »Ich bin eigentlich nicht besonders hungrig«, sagte sie, ihr Gesicht war seinem sehr nahe, ihre Ellenbogen berührten einander, sein linkes Knie erhob sich aus dem Boden wie ein Stützpfeiler, »aber wenn ich das Essen nehme, wollen Sie es haben – oder etwas davon? Als Extraportion, meine ich.«
    Er sah sie verblüfft an und sagte dann: »Klar, wieso nicht?« Die Stewardeß wartete, ihr aufgeschweißtes Lächeln löste sich an den Mundwinkeln bereits in ersten Zuckungen der Ungeduld auf. »Für mich das Hühnchen«, sagte der Mann, »und für die Dame hier die Pasta.« Und dann zu Ellen, während er das Tablett von einer Hand in die andere nahm: »Sind Sie wirklich sicher? Ich weiß, das ist nicht gerade Drei-Sterne-Cuisine, aber Sie müssen was essen, und die tischen uns sowieso nur deshalb was auf, damit die Zeit vergeht und wir nicht merken, wie eingezwängt und unbequem wir es hier haben.«
    Der Geruch des Essens – Salz, Zucker und geradezu greifbare tierische Fette – stieg ihr in die Nase, und ihr wurde wieder übel. Waren das die Tabletten? Der Alkohol? Oder war es Roy – Roy und das Leben überhaupt? Sie dachte darüber nach, und sobald sie das tat, war er da – Roy –, krallte sich gleich wieder in ihre Gedanken hinein. Sie sah ihn vor sich, die kräftigen Schultern in seinem schwarzen Polyesteranzug mit den winzigen roten Pünktchen – dem Anzug, den sie ihm aussuchen geholfen hatte, als hätte er so etwas wie Geschmack oder einen persönlichen Stil –, die aus den Höhlen quellenden Augen, seine Lippen, die aussahen wie zwei rings um den Mund aufgesetzte schmale, knausrige Hautlappen. Scheiße im Hirn. Das hatte er über sie gesagt, mitten im Lehrerzimmer, vor allen anderen – Lynn Bendall und Lauren McGimpsey, und diese kleine Hilfslehrerin, wie hatte die gleich geheißen? Er brüllte, und sie brüllte zurück, harte Bandagen, bedenkenlos. Und wenn ich mit ihr ins Bett gehe? Was geht das dich an? Glaubst du, ich gehör dir? Ja, glaubst du das? Du hast wohl Scheiße im Hirn! Laurens Miene war wie erstarrt, aber Ellen sah, wie Lynn der kleinen Hilfslehrerin zugrinste, und dieses Grinsen sagte alles, denn Lynn wußte offensichtlich weit besser als Ellen darüber Bescheid, mit wem Roy schlief.
    Der Mann neben ihr – ihr Sitznachbar – aß jetzt. Er hatte Hunger, und das war gut. Sie fühlte sich selig, während sie ihm beim Essen zusah und ihn von seiner Arbeit erzählen hörte – er war Schriftsteller oder Journalist oder so ähnlich und flog über die Feiertage nach Philadelphia. Sie hatte auf das Essen verzichtet und es ihm geschenkt, dafür war er ihr dankbar – er hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und schließlich steckte er noch in der Wachstumsphase, wie er sagte, dabei mußte er Anfang Dreißig sein. Und ledig, seinen unberingten Fingern nach zu urteilen. Ellen lächelte zurück. Und als der Getränkewagen nochmals kam, bestellte sie sich den nächsten Scotch.
    Sie redeten über Filme, vielleicht das einzige Thema, das die Menschen noch gemeinsam hatten, als sie zufällig aufblickte und Lercher unsicher vorbeiwanken sah, auf dem Weg zu den vorderen Toiletten, das Gesicht zu einer besoffenen Grimasse verzerrt. Sie und ihr Nachbar – er hieß Michael, einfach Michael, mehr hatte er nicht angeboten – waren auf viele Übereinstimmungen gestoßen, was die derzeitige Filmlandschaft anging (keine Filme mit Explosionen, keine außerirdischen Lebensformen, keine Geriatrie-Lovestorys, keine einfältigen Kinderstars), und sie fühlte, wie sich allmählich etwas in ihr rührte. Sie war interessiert, aufrichtig

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