Schluß mit cool (German Edition)
krank wurde und starb. Bis heute sinkt sein mumifizierter Leichnam langsam tiefer in den unerdenklichen Staub unter den Dielen der Küche, genau unter der Stelle, wo jetzt der Gefrierschrank steht und leise seine Arbeit verrichtet.
Eines Nachmittags, ein oder zwei Tage nachdem der erste Winterregen das trockene Bachbett hinten im Garten in ein Geplätscher zopfartiger, sepiafarbener Kräuselwellen verwandelt hat, auf dem lange Fasern aus Eukalyptusrinde treiben, wird meine Witwe von einem beharrlichen Wummern am anderen Ende des Hauses aufgeschreckt. Wie immer ist sie in der Küche und späht in eine brodelnde Hühnersuppe mit Gemüse, das einzige, was sie dieser Tage zu sich nimmt, abgesehen von nachlässig gegrillten Hüftsteaks dann und wann und einem derartig scharfen Kaffee, daß längst die Glasur von der Keramiktasse heruntergeätzt worden ist, die unser Sohn in der sechsten Klasse für sie getöpfert hat. Die Türklingel, die zu meiner Zeit die Melodie von Beethovens Ode an die Freude trällerte, funktioniert seit langem nicht mehr, deshalb dauert es eine Weile, bis es meiner Witwe wirklich klar wird, daß jemand an die Vordertür klopft. Die Vordertür ist schließlich auch gut sechzig Schritt von der Küche entfernt, dazwischen liegt die Küchentür und der lange L-förmige Korridor, der zur Eingangshalle und dem großen Wohnzimmer dahinter führt – heute das Territorium der Katzen. Trotzdem, es ist eindeutig ein Klopfgeräusch, und man sieht gleich, wie ihre Augen ganz wach werden – es könnte ja der Briefträger sein, denkt sie, wie gerade neulich erst (oder war das schon letzte Woche?), als er ihr einen Brief unseres Sohnes brachte, der in Kalkutta lebt und dort Maisbrei und saubere Verbände an die Bettler verteilt. »Komme gleich!« ruft meine Witwe mit ihrer krächzenden, oberoktavigen Stimme, legt den Rührlöffel in den Unrat, der einst die Arbeitsplatte war, wischt sich die Hände an ihrem Flanellnachthemd ab und geht langsam, aber resoluten Schrittes durch den Korridor, um die Tür zu öffnen.
Durch das Blumenmuster der alten Ätzglasscheiben der Eingangstür gut sichtbar, steht dort auf den Ziegelstufen eine junge Frau in Shorts, Leggings und einer Art Sporthemd, mit strähnigem schwarzem Haar, einer grauenhaften Haltung und etwas unter den Arm geklemmt, das aussieht wie ein Pelzmuff. Als meine Witwe näher tritt und das Unklare konkret wird, erkennt sie, daß die Frau um die Augen stark geschminkt ist und daß der Muff sich in ein Kätzchen von unbestimmter Rasse verwandelt hat – schwarz mit weißer Brust und zwei weißen Pfötchenstrümpfen. Neugierig und die Lippen vorschiebend, genau so, wie sie es immer tat, als sie selbst eine junge Frau war, läßt meine Witwe die Tür aufschwingen und wartet stumm zwinkernd auf eine Erläuterung.
»Oh, hallo«, sagt die junge Frau und quetscht die Worte durch ein automatisches Lächeln hindurch, »tut mir leid, wenn ich Sie störe, aber ich dachte mir...« Unerklärlicherweise läßt die junge Frau ihren Satz hier verklingen, und meine Witwe, deren Gehör durch ihren überschwenglichen Musikgeschmack à la Velvet Underground mit Nico im vergangenen Jahrhundert stark gelitten hat, versucht auf ihren Lippen weiterzulesen. Die junge Frau mustert das Gesicht meiner Witwe einen Moment lang und beschließt dann, es anders zu probieren. »Ich bin Ihre Nachbarin, Megan Capaldi«, sagt sie schließlich. »Erinnern Sie sich? Letztes Jahr bei der Essensaktion für die Schule?«
Meine Witwe, die eine alte karierte Bluse über dem ausgeblichenen und leicht speckigen Flanellnachthemd trägt, erinnert sich eigentlich nicht an sie. Sie bleibt unverbindlich. Hinter ihr, tief im Innern des Hauses, erhebt sich ein leises Miauen.
»Ich habe gehört, daß Sie ein richtiger Katzenmensch sind, und da dachte ich – also, die Katze meiner Tochter Amy hat Junge bekommen, und für die suchen wir jetzt gute Plätze, eben Menschen, die Katzen wirklich gern haben, und diese hier – wir nennen sie Sniggers – ist die letzte, die übrig ist.«
Meine Witwe lächelt, ihre Miene hat sich in die eines kleinen Mädchens verwandelt, die gefurchte Oberlippe zieht sich zurück und entblößt ein schimmerndes, perfektes Alte-Damen-Gebiß – die Originalzähne, hervorragend erhalten. »Ja«, sagt sie, »ja«, ehe die Frage noch gestellt worden ist, und streckt bereits die Prinzessinnenhände nach dem Kätzchen aus. Sie drückt es kurz an sich, dann richtet sie den Blick ihrer
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