Schluß mit cool (German Edition)
kurzsichtigen Augen auf das Gesicht der jungen Frau. »Danke, daß Sie mich gefragt haben«, sagt sie.
Das Dach
Das Dach, das aus einem Verbundmaterial mit lebenslanger Garantie besteht, ist undicht. Meine Witwe ist im Schlafzimmer, liegt im Bett, häkelt ordentliche zehn Quadratzentimeter große Großmutterflicken, weil das so beruhigend ist, und hört nebenbei auf das Gebrabbel des Fernsehers an der gegenüberliegenden Wand und das lärmende Tosen eines Unwetters über dem Haus, als das Tröpfeln einsetzt. Die Katzen merken es als erste. Eine von ihnen, ein riesiges, gedunsenes, quadratschädliges Männchen mit einem Pelz wie ein totes Vieh am Straßenrand, rutscht ein Stück beiseite, um den schweren kalten Tropfen auszuweichen, und schubst dabei versehentlich zwei niedere Katzen vom linken Rand des Bettes. Es folgt ein Gerangel um die trockenen Plätze, dabei sammeln sich die Tiere um die häkelnden Handgelenke meiner Witwe und lassen das Fußende völlig frei. Auch jetzt noch denkt sie sich nichts weiter dazu. Eine Stimme aus dem Fernseher kreischt: Sie kommen – sie kommen durch die Wände! , gefolgt von der üblichen Kakophonie aus Schreien, abgehackter Musik und Schmatzgeräuschen. Der Regen prasselt gegen die Scheiben.
Eine Stunde versickert langsam. Ihre Füße sind kalt. Als sie sie gegeneinanderreibt, entdeckt sie, daß sie außerdem auch naß sind. Ihr erster Gedanke gilt den Katzen – sind sie wieder mal unartig gewesen? Aber nein, jetzt hört sie deutlich das stete Tröpfeln, wie Wasser, das aus großer Höhe herabfällt, und sie faßt mit der Hand hin, um sich dem Rätsel zu stellen. Es folgt ein entschlossenes Schlurfen durch die abgedunkelte Arena des Hauses, die penible, aber zufallsartige Inspektion der Zimmerdecken mit der Taschenlampe (die sie wiederum erst dreißig Minuten lang suchen mußte) und dann die stundenlange Nachtwache vor dem großen Kochtopf, der sich am Fußende des Betts langsam füllt. Eine Zeitlang nimmt sie auch die Häkelei wieder auf, aber das beständige, hypnotisierende Tropfen des eindringenden Regens läßt ihre Finger zur Ruhe kommen und trägt sie im Traum in die Vergangenheit zurück. Sie besucht andere Dächer – die Mansarde ihres Mädchenzimmers, den feuchtnassen Alptraum in ihrem Studentenheim, wo immer das schmutzige Sickerwasser aus dem Dach in die Pfanne troff, wenn sie sich auf dem Ofen braunen Reis und Gemüse kochte, die eingestürzte Decke in unserem ersten Haus, nachdem es während unserer Europareise einen Rohrbruch gegeben hatte –, und dann ist sie auch schon in Europa, im Regen auf dem Canal Grande, mit mir, ihrem ersten und wichtigsten Ehemann, und es dauert nicht lange, da läuft der Kochtopf über, und sie ist so weggetreten, daß sie ebensogut in einer anderen Dimension leben könnte.
Der Dachdecker, dessen Name sich aus dem Morast des Branchenbuchs geschält hat, trifft mehrere Tage später in der nächsten Schlechtwetterperiode ein und hämmert an die Eingangstür, während der Regen von den korrodierten Dachrinnen aus Kupfer suppt (die übrigens ebenfalls eine lebenslange Garantie haben). Meine Witwe ist bereit für ihn. Sie ist die ganze letzte Woche jeden Tag früh aufgestanden, hat ihr Flanellnachthemd gegen Jeans und eine gemusterte Bluse getauscht, darüber trägt sie die alte schwarze Strickjacke mit den tanzenden blauen Rentieren, die sie mir mal zu Weihnachten geschenkt hat. Sie hat sich gekämmt und ein bißchen Lippenstift aufgelegt. So wie vor ihm Megan Capaldi hämmert der Dachdecker auf den Redwoodrahmen der Tür ein, bis meine Witwe im Vorraum auftaucht. Sie hantiert einen Augenblick mit der Brille, die ihr an einer Schnur um den Hals baumelt, dann nimmt ihr Gesicht einen verdatterten Ausdruck an: Wer ist dieses Kleinkind, das da gegen die Tür schlägt?
»Hallo«, ruft der Dachdecker und rüttelt ungeduldig am Türknauf, während meine Witwe auf der anderen Seite der Glasscheibe steht und ihn verwirrt ansieht. »Ich bin’s – der Dachdecker!« Er schreit jetzt regelrecht: »Sie sagten, bei Ihnen regnet’s rein?«
Der Dachdecker heißt Vargas D’Onofrio, und sobald er den Namen ausgesprochen hat, ist er ihr bereits wieder entfallen. Er hat einen hektischen, nervösen Blick, und sein Gesicht ist in einem Vollbart aus verfilzten schwarzen Haaren versunken, in die sich einzelne graue mischen. Eigentlich ist er Anfang Vierzig, aber verständlicherweise ist jeder unter siebzig Jahren für meine Witwe praktisch ein
Weitere Kostenlose Bücher