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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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wußte ich denn überhaupt, daß er ihr Vater war? Vielleicht war er der Stiefvater. Vielleicht war er so ein Lolita-Papi. Oder sonst noch was.
    Vor der Praxis standen keine Demonstranten, als ich zurückkam – die hatten sie alle verhaftet –, was meine Laune etwas aufhellte. Ich riß sogar ein paar Witze mit Fred und ertappte mich dabei, daß ich bei der Arbeit vor mich hin pfiff. Ich vergaß den Vorfall vom Morgen, vergaß die Knarre, vergaß Pasadena und das schöne Leben dort. Kaffee hielt mich wach, Kaffee und Cola light, von dem anderen Zeug hielt ich mich fern, schon um mir etwas zu beweisen – und Philip auch. Eine Zeitlang gab ich mich sogar der trügerischen Annahme hin, alles könne noch gut werden.
    Dann war es spät, es wurde dunkel, und der Tag war fast vorbei. Ich malte mir den Abend aus, der vor mir lag – Denise und ihr Essen, Pu der Bär , mein Bruder und sein Scotch, sechs windgepeitschte Blocks zum Laden für einen Liter Starkbier –, und auf einmal war mir danach, einfach den Revolver herauszuziehen und mir auf der Stelle die Kugel zu geben. Onkel Rick, kleiner Bruder, Exsträfling... Wem machte ich denn etwas vor? Da hätte ich es ja im Knast noch besser gehabt.
    Ich brauchte eine Zigarette. Und wie. Mein Verlangen trieb mich am Warteraum vorbei – vier verschreckt dreinblickende Frauen, ein zornig wirkender Mann –, durchs Labor und ins hintere Zimmer. Die Leuchtstoffröhren an der Decke summten leise. Fred war schon heimgegangen. Ich stand am Fenster und starrte auf die heruntergelassenen Jalousien ins Nichts, bis die Zigarette zur Kippe runtergeraucht war. Meine Hände zitterten, als ich mir gleich die nächste daran anzündete, und ich dachte nicht an die blutigen Reste in den Edelstahlwannen, die mich an nichts so sehr erinnerten wie an abgehäutete Frösche, ich dachte weder an Sally noch an den Dreckskerl mit Sackgesicht und Bart, der sich an die Stoßstange gekettet hatte. Ich gab mir große Mühe, an gar nichts zu denken, mich im Kopf ganz leer zu machen, und das gelang mir auch, ja wirklich, bis ich aus irgendeinem Grund – müßige Neugier, Langeweile, Kismet – zwei der Jalousienstäbe auseinanderdrückte und auf den Parkplatz hinaussah.
    Und da war sie, einfach so: Sally.
    Sally in ihrem jungfräulichen Parka und den Fellstiefeln, fest umfangen vom Griff ihrer Mutter, und sie kämpfte sich den Fußweg entlang gegen eine Flut parolenskandierender Zombies – und ich erkannte sie alle, jeden einzelnen, es waren dieselben, die man im Morgengrauen vor der Tür meines Bruders weggezerrt hatte. Sally kam nicht für eine Untersuchung – Untersuchungen waren hier keine mehr nötig. Nein, Sally hatte ihre Entscheidung getroffen. Das sah ich an ihrem vorgeschobenen Unterkiefer und an der Art, wie sie den Kopf gesenkt hielt und ihre Blicke trotzdem wie Schwerter hervorzucken ließ, und ich sah es auch in jeder zeternden Falte im zeternden Gesicht ihrer Mutter.
    Das Tageslicht war fast verschwunden. Der Himmel hing tief, wie Rauchschwaden. Und dann, genau in diesem Augenblick, als hätte irgendein Gott mit den Fingern geschnippt, gingen die Straßenlampen an, eine Explosion von künstlichem Licht, die am Himmel über mir losbrach. Auf einmal spürte ich, wie ich in Bewegung geriet, auch in mir war der Schalter umgelegt worden, in meinem Kopf brannten sämtliche Lämpchen lichterloh, und schon war ich zur Tür hinaus, den Gang entlang und schob mich durch die doppelte Glastür des Vordereingangs.
    Etwas drückte gegen die Tür – die schwere Last von Körpern, die Zombies, die sich wie Leichen auf den Stufen stapelten –, und ich mußte mir mit Gewalt einen Weg hinaus bahnen. Überall lagen Körper, ein Minenfeld aus Fleisch, die Leute hatten sich auf den Eingangsstufen ausgestreckt, versperrten den Gehsteig und alle Parkplätze vor der Klinik und blockierten die Autos auf der Fahrbahn. Ich sah den Punk von heute früh, den harten Teenager in der Lederjacke, der jetzt seinen Rücken an die Tür preßte, und neben ihm eine der plumpen Frauen, gegen die ich ihn geschleudert hatte. Sie lernten einfach nichts dazu, diese Typen, sie waren strohdumm. Für sie war es ein Spiel. Ein Riesenwitz. Man nennt einfach jemanden Babymörder, singt Lieder über Jesus, alles lieb und blümchenblau, und dann bringt einen der nette Polizist ins Gefängnis, und Mami und Papa holen einen gegen Kaution wieder raus. Ich versuchte, sie mit dem Fuß beiseite zu stoßen, trat mit den Metallspitzen meiner

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