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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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gellenden Pfiff des Zuges, doch es war noch zu früh. »Möglich wär’s«, sagte Sean schließlich, »ich meine, warum nicht? Du hast ja recht. Der Typ springt auf fahrende Züge auf, der könnte überall sein. Und dann gibt es da noch den Faktor der Aleatorik.«
    Sie starrte ihn fragend an.
    »Zufall. Pech. Schicksal. Dem Schicksal entkommt man nicht.« Und dann legte sich eine Miene auf sein Gesicht, die zu zwei Teilen aus tiefem Ernst und zu einem Teil aus Bürgerwehrmilitanz bestand. »Aber man kann darauf gefaßt sein, daß es einen trifft – man kann sich vorbereiten.« Plötzlich war er auf den Beinen. »Warte mal kurz, rühr dich nicht von der Stelle«, dabei klang seine Stimme scharf, als hätte sie ihm widersprochen, als müßte sie daran gehindert werden, kreischend in die Nacht hinauszurennen wie einer dieser Teenager in einem billigen Horrorfilm, »– ich bin gleich zurück.«
    Sie hätte gern ein Glas Wein getrunken, aber ihr war klar, daß sie auf Alkohol verzichten sollte, wenn sie das Baby behalten wollte – und wäre es ihr nicht von selbst klar gewesen, so hätte sie es von der Ärztin erfahren, die ihr lächelnd und weitschweifig eine ganze Latte von Vorschriften und Verboten aufzählte, eine Predigt, die sie vermutlich zehnmal am Tag hielt, jeweils maßgeschneidert für den Bildungsgrad der Patientin. Draußen schaltete sich der Rasensprenger mit einem verebbenden Ächzen aus. Sie hörte Sean im Schlafzimmer, er wühlte nach irgend etwas. Heute abend, sie würde es ihm heute abend sagen.
    Denn die Neuigkeit war zu groß, um sie für sich zu behalten, und sie wollte auch ihre Mutter anrufen und lange und vertraulich mit ihr plaudern, und dann auch ihre Schwestern – aber zuallererst, ehe an diese Gespräche auch nur zu denken war, mußte sie es Sean sagen, und Sean mußte darauf antworten, was sie unbedingt hören wollte. In der Fünf-Uhr-Pause hatte sie sich Gretchen Mohr anvertraut, einer ihrer Arbeitskolleginnen, doch das hatte ihr nicht viel geholfen. Gretchen war erst dreiundzwanzig und ohne ernsthafte Absichten, was ihren derzeitigen Freund betraf, und an der Art, wie sie bei der Neuigkeit die Augen zusammenkniff, war deutlich zu spüren, daß der Gedanke, ein Baby zu bekommen, ihr etwa so willkommen war wie der, an Querschnittslähmung oder Epilepsie zu leiden. Sie überspielte das zwar mit einem Schwall von Gratulationen und wahren Salven von Platitüden und Scherzchen, doch ihre abschließende Bemerkung, ihr letzter und tiefsinnigster Gedanke, verriet sie: »Ich weiß nicht«, seufzte sie und starrte in das Schlüsselloch ihrer Dose mit Cola light, als läse sie in Teeblättern die Zukunft, »aber ich glaube einfach nicht, daß ich ein gutes Gefühl hätte, ein Kind in die Welt zu setzen, so, wie sie jetzt ist.«
    Als Melanie aufblickte, stand Sean über ihr. Er trug sein T-Shirt mit dem Bild von Freud über der Aufschrift Dr. Who? . Er hatte Gel im Haar, und seine linke Gesichtshälfte bis hinauf zum Ohr und ringsherum war von der Hautkrankheit gerötet, mit der er ständig kämpfte. Aber all das war normal, so sah er immer aus. Was sich geändert hatte, das waren seine Augen – stolzer, brennender Blick, funkelnd wie Feuerwerk – und seine Hände, oder vielmehr: was er in Händen hielt. Lose eingewickelt in groben weißen Stoff, der mit etwas befleckt war, das nach Olivenöl aussah, lag da ein Gegenstand, den sie aus Kino, Fernsehen und Schaukästen in Pfandleihhäusern kannte: eine Schußwaffe.
    »Was soll das?« fragte sie und rückte von ihm ab. »Was zeigst du mir da?«
    »Komm schon, Mel, stell dich nicht so an.«
    »Es ist eine Pistole, oder?«
    »Wir sind hier im Erdgeschoß, und wir werden heute nacht die Fenster verriegeln, selbst wenn’s heiß ist, was ich aber bezweifle, weil sich der Nebel schon herabsenkt, und die hier werden wir neben das Bett legen, auf den Nachttisch, sonst nichts.«
    Sie hatte die Beine dicht an den Körper gezogen und saß auf der Couch so weit weg von ihm, wie es nur ging. »Ich glaube dir einfach nicht«, sagte sie, und sie spürte das dünne klagende Wimmern in ihrer Stimme. »Weißt du, was mein Vater sagen würde, wenn er dich jetzt sehen könnte? Wo hast du das Ding her? Warum hast du mir nichts davon erzählt?« verlangte sie zu wissen, und – sie konnte nichts dagegen tun – ihre Stimme überschlug sich bei der letzten Silbe.
    Er zog die Pistole weg, schlug sie aus der Umhüllung und hob sie mit einer Hand hoch, bis sie die Decke

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