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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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einen Schwindler, einen Betrüger und Schürzenjäger, der kein Recht besaß, irgend jemanden seinen Sohn zu nennen, schon gar nicht mich. Aber oh, wie diese Dekane und Professoren sich nachher an mich heranschleimten, um mir gründlich den Arsch zu lecken, und wie Dr. Delpino unser kleines Geheimnis schmunzelnd vor sich hertrug und dabei versuchte, Victoria aus dem Weg zu drängen! Überhaupt Victoria. Das war auch so eine Sache. Victoria schien es entfallen zu sein, daß ich überhaupt lebte, so bezaubert war sie von dem gigantischen Spektakel meines Vaters, des Genies.
    Kurz bevor wir alle wieder in den eisigen Wind hinaustraten, nahm er mich beiseite, so richtig väterlich-vertraulich, wobei alle anderen aus Achtung vor den Banden des Blutes kurzzeitig ein Stück zurückwichen, und erkundigte sich, ob bei mir alles in Ordnung sei. »Alles in Ordnung bei dir?« fragte er.
    Rundherum herrschte ein Gewusel, anschwellendes Stimmengewirr, das fröhliche Ritual der Reißverschlüsse, Handschuhe, Schals und Parkas, aus den Lautsprechern jaulte ein Streichquartett in einer derart schrägen Tonart, daß sich mir die Nackenhaare aufstellten: »Wie meinst du das?« fragte ich zurück.
    Jetzt sah ich ihm ins Gesicht, und das Alter schwand aus seinen Zügen: er war mein Kumpel, mein Papa, der heißblütige Bursche, den ich aus Küche, Garage und Schlafzimmer meiner Jugend in Erinnerung hatte. »Ich weiß nicht«, sagte er achselzuckend. »Victoria hat mir erzählt – so heißt sie doch, oder? Victoria?«
    Ich nickte.
    »Sie hat erzählt, daß du krank warst, Grippe oder so was...« Er ließ den Satz verklingen. Jemand brüllte: »Das hätten Sie erst mal im Dezember sehen sollen!«, das Streichquartett brach in einem insektenartigen Gezirpe nervöser Finger auf emsigen Saiten ab. »Süßes Mädel, diese Victoria«, sagte er. »Die hat was.« Und dann der Versuch eines Scherzes: »Scheint so, als hättest du meinen Geschmack geerbt, was?«
    Aber der artige Sohn grinste dazu nicht, geschweige denn, daß er lachte. Er fühlte sich weniger als der treue Gefährte Achates denn als Ödipus.
    »Brauchst du Geld?« fragte mein Vater und griff bereits in seine Jeanstasche, eine rein automatische Geste, als der Rest der Gruppe uns wieder umringte, so daß die Frage unbeantwortet blieb. Er warf blitzschnell einen Arm um mich und schaffte es, sich Victoria und die stolze Flagge ihres Haars mit dem anderen zu schnappen. Dann drückte er uns mit beiden schmächtigen Armen und sagte: »Also, wir sehen uns bei der Lesung heute abend, alles klar?«
    Jeder sah uns dabei zu, bis hin zu den Küchenhilfen, ganz zu schweigen von Dr. Delpino und den vielen inzwischen vor Ehrfurcht erblaßten, benommen grinsenden Fremden, die von ihren Coquilles und Fritures aufsahen. Es war ein wahrhaft biographischer Augenblick. »Ja«, sagte ich, und einen Moment lang glaubte ich, sie würden in Beifall ausbrechen, »alles klar.«
    Der Saal war gerammelt voll, nur noch Stehplätze zu haben, es war heiß und stickig von den Menschenmassen und den Mänteln und Schals und sonstigen Wintersachen, die sich wie eine zweite schattenhafte Menge an den Rändern des lebenden, atmenden Publikums sammelten, und Studenten, Lehrpersonal und Gäste aus dem Ort zwängten sich in jede verfügbare Nische. Einige von ihnen waren bis aus Vermont und Montreal angereist, wie ich mitbekam, und als wir durch die große Doppeltür des Haupteingangs traten, verkauften dort Schwarzhändler die Studentenspezialtickets zu zwei Dollar fünfzig für das Drei- bis Vierfache. Ich setzte mich in die erste Reihe neben den leeren Platz meines Vaters und den Biographen (er wurde Mal genannt, kurz für Malcolm), während mein Vater die Runde machte, Hände drückte und alles signierte, was ihm die ehrfürchtige Menge entgegenstreckte, von Büchern über Servietten bis zu Notizzetteln. Victoria, deren Haarpracht sich dank der Behandlung mit geheimnisvollen Chemikalien im Badezimmer auf dem Korridor ihrer Bude zu noch gewaltigeren Dimensionen vergrößert hatte, saß neben mir wie ein seltsamer Pilz.
    Ich versuchte, meinen Vater nicht zu beobachten, tauchte des öfteren für leichte Konversation in Victorias Dschungel ein und wieder daraus hervor, unbekümmert und unerschütterlich, alles kein Problem für mich, als Mal sich plötzlich über den leeren Sitz lehnte und mich mit dem Druckknopf seines allzeit bereiten Präzisionsschreibers in den Arm pikte. Ich drehte mich zu ihm, Victorias Hand hielt

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