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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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fest die meine gepackt – seit wir aus dem Auto gestiegen waren, hatte sie mich nicht mehr losgelassen, nicht mal, um sich den Schal aufzuknoten –, und starrte in die grellen Reflexe seiner Brille. Sie war verblüffend, diese Brille, wie zwei Panoramafenster, wie eine Tauchermaske, die man ihm auf den haarlosen Schädel transplantiert hatte. »Neunzehnhundertneunundachtzig«, sagte er, »als er den Wagen zu Schrott gefahren hat? Den BMW meine ich.« Ich blieb reglos sitzen und wartete auf den Rest, die Stimme des Mannes schlängelte sich in mein Bewußtsein, bis sie sich anfühlte wie die Stimme meines innersten Ichs. »Erinnerst du dich, ob er damals noch zu Hause wohnte? Oder war das schon nach... nachdem er, äh, ausgezogen ist?«
    Ausgezogen. Zu Schrott gefahren.
    »Erinnerst zu dich daran, wie er darauf reagiert hat? Gab es irgendwelche auffälligen Veränderungen? Wirkte er deprimiert?«
    Er mußte an meiner Miene gesehen haben, wie die Situation auf mich wirkte, denn seine Brille blitzte abrupt auf, er zupfte sich zweimal an der Unterlippe und murmelte: »Ich weiß, daß dies weder der rechte Moment noch ein guter Ort ist, ich war einfach nur neugierig. Aber ich überlege gerade, hättest du was dagegen – vielleicht könnten wir mal einen Termin zum Quatschen vereinbaren?«
    Was sollte ich darauf sagen? Victoria umklammerte meine Hand wie eine Trophäenjägerin, meine Kommilitonen lärmten, schnatterten und rekelten sich in den festgeschraubten Klappsitzen, und mein Vater hockte sich hier kurz hin, sprang dort wieder auf, runzelte die Stirn und legte eine kilometerdicke Schicht von witzigen Bemerkungen auf. Ich zuckte die Achseln. Blickte beiseite. »Klar doch«, antwortete ich.
    Dann wurde das Licht einmal, zweimal kurz gedämpft, ging dann ganz aus, und der Vorstand der Fakultät für englische Literatur betrat das Podium, während mein Vater auf den Sitz neben mir hastete und das Publikum verstummte. Ich gebe mir keine Mühe für eine Beschreibung dieses Vorstands – er paßte in seine Rolle und sprach nur etwa gnädige fünf Minuten lang darüber, daß mein Vater ohnehin keine Einführung benötige et cetera, ehe er die Bühne an Mal übergab, kurz für Malcolm, den offiziellen Hagiographen. Mal hüpfte auf das Podium wie ein dressierter Seehund, und wenn der Fakultätsvorstand sich selbstlos kurz gehalten hatte, so war Mal geschwätzig und hochtrabend, geradezu publikumsgeil. Er klopfte die Zuschauer mit einem halben Dutzend Anekdoten über die unglaublich aufgeblasene Vergangenheit des großen Dichters weich, samt sorgfältigst auserlesenen Verweisen auf Drogenmißbrauch, Sexeskapaden, seinen hemmungslosen Fahrstil und natürlich Filme und Filmstars. Als er endlich fertig war, hatte er meinen Vater als eine Kombination aus James Dean, Tolstoi und Enzo Ferrari dargestellt. Sie waren entzückt, alle Männer, Frauen und sabbernden Erstsemester – und ich, der einzige im Publikum, der ihn wirklich kannte? Ich hätte am liebsten losgekotzt, gekotzt, bis das Auditorium bis zur Galerie angefüllt wäre, gekotzt, bis sie alle darin ertranken. Aber ich konnte nicht. Ich war gefangen wie in einer Art Alptraum. Gefangen ganz vorn in der ersten Reihe.
    Als Mal endlich den kahlen Kopf senkte und meinen Vater ankündigte, war der Applaus wie ein Erdbeben, als hätte jemand den Saal hochkant gestellt, und nun hechtete sich der große Dichter in einem seiner Tournee-T-Shirts und der immer gleichen Lederjacke auf die Bühne, zog eine kurze Abklatschnummer mit dem abtretenden Biographen ab, während das Tohuwabohu allmählich verebbte und die Gesichter ringsum vor Staunen erschlafften. Im Laufe der nächsten Viertelstunde stolzierte er selbstvergessen über die Bühne, tat dabei, als bemerkte er das Podium gar nicht, und ließ einen vorprogrammierten Monolog ab, der einer Comedy-Show im Fernsehen Ehre gemacht hätte. Zumindest fanden das all die Blödmänner ringsherum. Er bezauberte sie, war noch cooler als sie, und sie lachten, kicherten, grinsten und johlten. Ein paar von ihnen, lauter Kommilitonen aus dem ersten Semester vermutlich, stampften sogar in donnerndem Unisono mit den Füßen, als wären sie bei einem Footballmatch oder so. Und seine Witze – von der Sorte, wie er sie beim Mittagessen gerissen hatte – waren alle so diskret, an der Oberfläche jedenfalls, aber tief im Inneren war doch jeder Satz und jede kalkulierte Pause dafür geplant, daß wir alle spürten, in der Gegenwart eines Helden der

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