Schluß mit cool (German Edition)
Frau gehabt, und er war bereit. Unmöglich war nichts. Alles konnte passieren. Besonders im Urlaub. Besonders hier unten. Er goß sich aus der Flasche ein, dann blätterte er ans Ende des Buches, wo der Konsul, hoffnungslos abgetakelt und ausgenommen, den Abhang hinunterkollert und sie ihm noch den aufgedunsenen Kadaver eines Hundes hinterherwerfen.
Als Lester es zum erstenmal gelesen hatte, kam ihm das irgendwie komisch vor, auf eine gewisse gruslige Art. Diesmal war er nicht mehr so sicher.
Gina erwartete ihn an der Bar, als er um Viertel vor neun die Stufen hinabstieg. Der Raum wurde von Papierlampions erleuchtet, die an der Decke aus geflochtenen Palmwedeln aufgehängt waren, vom Meer blies der Hauch einer Brise heran, dazu das Brausen der Brandung und ein Duft nach Zitrusfrüchten und Jasmin. Alle Tische waren besetzt, die Leute beugten sich im Kerzenschein über ihre Fischgerichte und Margaritas und murmelten miteinander auf spanisch, französisch, deutsch. Es war gut. Es war perfekt. Doch als Lester die zehn Stufen vom Hotelhof hinunter und durch den Speisesaal in Richtung der Bar ging, fühlten sich seine Beine auf einmal wie tot an, als hätte man sie unter ihm weggeschossen und dann wie durch Zauber wieder befestigt, alles in ein und demselben Augenblick. Essen. Er mußte etwas essen. Nur einen Happen, das war alles. Fürs Gleichgewicht.
»Hallo«, sagte er und streifte Gina dabei leicht mit der Schulter.
»Hallo«, sagte sie und strahlte ihn an. Sie trug Shorts und hochhackige Schuhe und ein ärmelloses blaues Oberteil, an dem kleine blaue Perlen funkelten.
Er staunte darüber, wie schmächtig sie war – sie konnte kaum mehr als fünfundvierzig Kilo wiegen. Aprils Größe. Genau Aprils Größe.
Er bestellte sich einen Herradura mit Tonic und legte die Unterarme auf den Tresen wie Ziegelsteine. »Du hast mich vorhin nicht verarscht?« fragte er und wandte sich ihr zu. »Wegen des Boxens, meine ich. Nimm’s mir nicht übel, aber du bist... na ja, so klein. Ich hab bloß gerade nachgedacht, weißt du?«
Sie sah ihn längere Zeit an, als überlegte sie sich etwas. »Ich bin ein Fliegengewicht, Les«, sagte sie schließlich. »Ich kämpfe mit anderen Fliegengewichten, da gibt’s Gewichtsklassen, genau wie bei den Männern. Ich bin so groß, wie Gott mich geschaffen hat, aber du kannst mir gerne mal bei einem Fight zusehen, dann wirst du merken, daß ich noch allemal groß genug bin.«
Sie lächelte nicht dabei, und irgendwo an der freischwebenden Peripherie seines Verstandes wurde ihm bewußt, daß er ins Fettnäpfchen getreten war. »Aha«, sagte er. »Natürlich. Natürlich bist du das. Hör zu, ich wollte dir nicht – aber wieso gerade Boxen? Von all den vielen Dingen, die Frauen so tun können?«
»Was? Glaubst du, Männer haben die Aggression gepachtet? Oder die Großartigkeit?« Sie ließ den Blick durch den Saal schweifen, es war ein harter, zorniger Blick, dann lag er wieder auf ihm. »Sag mal, hast du Hunger oder was?«
Lester ließ das Eis in seinem Drink kreisen. Es war Zeit, die Situation zu entschärfen, und zwar pronto. »Na ja«, sagte er und grinste, was das Zeug hielt, »ich würde dir jetzt gerne erzählen, daß ich gerade Diät mache, aber erstens esse ich dafür viel zu gern – und außerdem hab ich noch keinen Bissen zwischen die Zähne gekriegt seit dem Dreck, den sie uns im Flugzeug serviert haben, dehydriertes Hühnerfleisch mit Reis, das hat geschmeckt wie ein Abfallprodukt beim Gummivulkanisieren. Und deshalb: ja klar, essen wir was.«
»Es gibt da ein Restaurant ein Stück den Strand rauf«, sagte sie, »im Ort. Es soll ziemlich gut sein, heißt ›Los Crotos‹. Hast du Lust?«
»Sicher«, sagte er, doch zugleich kroch das taube Gefühl in seine Beine zurück. Den Strand rauf? Im Ort? Da draußen war es dunkel, und er konnte die Sprache nicht.
Sie beobachtete ihn. »Wenn du nicht willst, ist das auch nicht schlimm«, sagte sie, leerte ihren Drink und stellte das Glas mit einem Klirren der Eiswürfel ab, das nach nichts so sehr klang wie nach losen Zähnen, die jemand in einen Becher spuckte. »Wir können auch einfach hierbleiben. Die Sache ist nur: ich war jetzt schon zwei Tage hier essen, und die Speisekarte langweilt mich allmählich – du weißt ja: Fisch, Fisch und nochmals Fisch. Ich dachte mir, ein Steak oder so wäre auch mal wieder nett.«
»Klar«, sagte er. »Klar doch, kein Problem.«
Und dann gingen sie den Strand entlang, Gina barfuß neben ihm, die
Weitere Kostenlose Bücher