Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
Vom Netzwerk:
Boxen? Das war doch kein Sport für Frauen. Er hob den alkoholisierten Blick und betrachtete ihr Gesicht, und es war ein nettes, hübsches Gesicht, bis auf ihren Nasenrücken, der zeigte allerdings eine verräterische Delle, eine kaum merkliche Schräge – ja klar, natürlich, wie hatte ihm das entgehen können? »Aber tut das nicht weh? Ich meine, wenn man einen Schlag in die... also, ich meine Körpertreffer.«
    »In die Titten?«
    Er nickte nur.
    »Sicher tut das weh, was glaubst du denn? Aber ich trage einen gepolsterten BH , der drückt sie mir platt gegen die Rippen, so daß die Gegnerin kein richtiges Ziel bekommt, aber in Wahrheit sind es die Schläge in den Unterleib, die einem zu schaffen machen«, und hier verdeutlichte sie die Stellen mit den Händen, wies auf die nackte Linie ihres Bauchs, den Schlitz des Nabels, alles straff und fest, aber nicht so wie bei diesen monströsen Bodybuilding-Frauen, die sie einem im Sportfernsehen vorsetzten, hübsche Bauchmuskeln, hübscher Nabel, hübsch, hübsch, hübsch.
    »Hast du heute am Abend was vor? Lust auf essen gehen?« hörte er sich fragen.
    Sie blickte auf ihren leeren Teller hinab, nichts mehr übrig außer dem Salat, keinen Salat, niemals Salat essen, nicht in Mexiko. Sie zuckte die Achseln. »Wieso nicht? Ja, wieso nicht? In zwei Stunden oder so?«
    Er hob seinen massigen Arm und sah mit angestrengtem Stirnrunzeln auf die Uhr. »Um neun dann?«
    Wieder ein Achselzucken. »Klar.«
    »Übrigens«, sagte er. »Ich bin Lester.«
    April war jetzt seit zwei Jahren tot. Ein Auto hatte sie überfahren, einen Block von ihrer Wohnung entfernt, und obwohl der Fahrer ein blutjunger Bursche war, im Kombiwagen seines Vaters starr vor Schreck hinter dem Steuer, traf ihn nicht allein die Schuld. Erstens war April unvermittelt vor ihm auf die Fahrbahn getreten, etliche Meter hinter einem Zebrastreifen, und als wäre das nicht schlimm genug, hatte sie auch noch die Augen verbunden. So ertastete sie sich ihren Weg mit Hilfe eines dieser flexiblen Glasfaserstöcke, mit denen Blinde die Welt zu ihren Füßen erspüren. Es war im Rahmen einer Psychologieübung passiert, die sie an der San Francisco State University belegt hatte: »Strategien von Sehbehinderten«. Ihr Dozent hatte zwei Freiwillige gesucht, die eine Woche lang mit verbundenen Augen leben sollten, sogar nachts, sogar im Bett, ohne Schummeln, und April hatte sich gleich als erste gemeldet. Sie und Lester waren damals seit zwei Jahren verheiratet – seine erste, ihre zweite Ehe –, und inzwischen war sie seit zwei Jahren tot.
    Lester hatte immer getrunken, und nach Aprils Tod schien er den Alkohol weniger gern zu mögen, dafür aber mehr zu brauchen. Er wußte das und kämpfte dagegen an. Trotzdem, als er in sein Zimmer zurückkam, selig segelnd auf dem Hochgefühl seiner Zufallsbekanntschaft mit Gina – Gina der Gepardin –, mußte er einfach die Flasche Tequila Herradura herauskramen, die er im Dutyfree gekauft hatte, und einen ordentlich läuternden Schluck davon nehmen.
    Es gab keinen Fernseher im Zimmer, aber die Klimaanlage funktionierte hervorragend, und er stellte sich eine Zeitlang vor das Gebläse, ehe er das durchgeschwitzte Hemd auszog und in die Dusche stieg. Das Wasser war lauwarm, tat aber gut. Er rasierte sich, putzte die Zähne und postierte sich erneut vor der Klimaanlage. Als er die Flasche auf dem Nachttisch stehen sah, beschloß er, sich einen Schluck zu genehmigen – nur einen noch, denn er wollte ja nicht völlig hinübersein, wenn er Gina die Gepardin zum Abendessen ausführte. Doch dann blickte er auf die Uhr und sah, daß es erst zwanzig nach sieben war, also dachte er, was zum Teufel sind schon zwei, drei Drinks, schließlich wollte er nur ein bißchen Spaß. Zu aufgedreht zum Schlafen, warf er sich aufs Bett wie ein großer tropfnasser Fisch und fing an, in der vergilbten Taschenbuchausgabe von Unter dem Vulkan zu schmökern. Er hatte das Buch mitgenommen, weil er der offenkundigen Symmetrie einfach nicht widerstehen konnte. Was sollte er sonst lesen in Mexiko – Proust vielleicht?
    »No se puede vivir sin amar« , las er, »man kann nicht leben, ohne zu lieben«, dabei sah er April, wie sie mit ihrem lächerlichen Blindenstöckchen zwischen den Autos hervortrat, die schwarze Schlafmaske fest über die Augen gezogen. Aber das Bild gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht, deshalb goß er sich noch einen Drink ein und dachte an Gina. Er hatte seit sechs Monaten nichts mehr mit einer

Weitere Kostenlose Bücher