Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Aufschiebeproblemen neigen dazu, ihre Absichtserklärungen zu überschätzen. Oft liegt das daran,
dass die Diskrepanz zwischen ihrer bisherigen Lebensführung und dem ersehnten Ziel so groß ist (»Ich bin es leid, immer nur
Angestellte im Buchhandel zu sein, ich möchte Autorin werden!«) und die mitschwingenden Sehnsüchte (»Ich wünsche es mir doch
so sehr«) und Hoffnungen (»Mein Leben würde sich endlich ändern«) sehr intensiv sind. Als nächsten Schritt ist es unerlässlich,
einen konkreten Handlungsplan zu entwerfen und zu überlegen, ob und wie man ihn ausführbar machen kann. Dabei ist entscheidend,
dass sich entweder genügend positive Gefühle mit der Handlung verbinden oder die negativen sich herabregulieren lassen.
Um den erforderlichen Energieaufwand möglichst gering zu halten, ist es wichtig, dass die Vorsätze zu den Personen passen.
Statt das zu überprüfen, denken viele Betroffene flüchtig an die befürchteten 1 000 Ablenkungen und sagen sich, dass sie eben
ihren Willen anstrengen müssen, um derartige Impulse zu unterdrücken. Diese Auffassung gibt dem Konzept des Willens von vornherein
einen negativen Beigeschmack. Menschen, die im Positiven etwas anstreben, sehen ihren Willen nicht als ein Unterdrückungsinstrument.
Sie achten vielmehr darauf, dass das, was sie wollen, nicht existenziell überfrachtet und ihrem Wesen fremd ist und betrachten
ihre Vorhaben als Erweiterungen ihres Selbst (»Ich habe schon immer Tagebuch geschrieben, das gehört einfach zu mir«). Bei
ihnen liegen die erforderlichen Handlungen nicht völlig außerhalb ihres üblichen Verhaltensrepertoires: So können sie bei
dem Ziel, einen Roman zu schreiben, beispielsweise an die Gewohnheit anknüpfen, Tagebuchaufzeichnungen zu machen. Sie haben
nicht nur einen Plan, sondern auch das Vertrauen, dass |263| er »limbisch« werden kann, das heißt umsetzbar und mit positiven Gefühlen verknüpft.
Bewusste Selbstkontrolle, die darin besteht, dass man sich auf seine Absichten und auf die Schwierigkeiten, sie umzusetzen,
fixiert, erzeugt allein schon negative Gefühle, wie eine Forschungsgruppe um den Psychologie-Professor Julius Kuhl von der
Universität Osnabrück in einer Fülle von Experimenten zeigen konnte. Trotz negativer Gefühle Intentionen umzusetzen erfordert
entweder Selbstmotivierung (indem man beispielsweise die übergeordneten Ziele im Blick behält), Selbstberuhigung (indem man
überschießende negative Gefühle in mildere Formen verwandelt) oder Unterstützung von außen bei der Überwindung der negativen
Affekte (indem jemand uns beispielsweise Mut macht, dass wir es schon schaffen werden). Der Wille ist in dieser Sicht der
Dinge keine mystische Fähigkeit, mit der man alle Störungen in die Knie zwingen und mit eiserner Disziplin durchhalten kann,
sondern ein Akteur in einem Feld, das durch Pläne, Gefühle, Verhaltensroutinen und das Selbst strukturiert ist.
Die Aktivierung des Willens in diesem Feld heißt also zunächst einmal, eine Absicht (Intention) zu bilden, die darin besteht,
ein bestimmtes Ziel anzusteuern. Unmittelbar darauf folgt ein Aufschieben, dem man in den meisten Fällen nicht ausweichen
kann, denn bei Willensakten liegt zwischen dem Einfall (»Ich will ein Buch schreiben!«) und der Ausführung in der Regel ein
zeitlicher Abstand: Bei komplexen Vorhaben kann man oft nicht sofort handeln, sondern muss die Ausführung der Absicht erst
einmal zurückstellen, um die erforderlichen Vorarbeiten zu machen oder sich darüber klar zu werden, ob man das Ziel auch wirklich
anstrebt. Die Absicht muss dann hinreichend lange im Gedächtnis präsent gehalten und gegen konkurrierende Intentionen (»Ach,
es gibt diesen interessanten neuen Film?«) abgeschirmt werden. In dieser Phase verknüpfen sich Absichtsintentionen mit Zielintentionen:
Man denkt darüber nach, wie man es anstellen wird, das Ziel zu erreichen. Dazu gehört auch, sich über die Klippen des Anfangs
und des Durchhaltens Gedanken zu machen und sich Strategien zu überlegen, um motiviert zu bleiben. Ist die richtige Situation
gegeben, kommt es anschließend zur Energetisierung des Verhaltens. Ab einem bestimmten Punkt drängt es uns zur Umsetzung,
was uns meistens mit dem Satz »Jetzt mach ich es!« bewusst wird. Der so gefasste Beschluss wird als verbindlich und unumkehrbar
erlebt.
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Helmut denkt daran, wie er in seiner Jugend im Schwimmbad vom Zehnmeterturm springen
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